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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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soll. Offene Diskussion. Von „Woanders verhungern die Kinder!” — „Wo?“ und Blick auf die Weltkarte im Klassenzimmer über „Eine Mutter darf man nicht anlügen“ zu „Wenn sie dich immer ausschimpft, wenn du ihr die Wahrheit sagst, darfst du lügen” war alles dabei. Ich halte es für wichtig, dass Kinder lernen, dass jeder eine andere Meinung, eine andere Haltung hat. Dass sie lernen, ihre eigene Haltung zu begründen, die des anderen nachvollziehen zu wollen, und schlussendlich zu akzeptieren, dass jeder Mensch anders denkt und es in vielen Bereichen kein „Richtig“ und kein „Falsch“ gibt.
    Der Morgenkreis ist auch der ideale Ort, um über das aktuelle Zeitgeschehen zu sprechen. An den Tagen um die Bundestagswahl herum haben wir uns damit beschäftigt, wie gewählt wird, haben die verschiedenen Politiker kennengelernt, deren Bilder ich zu diesem Anlass mitgebracht habe, und auch kindgerecht über die verschiedenen Parteiprogramme gesprochen. Es ging weiter zu unterschiedlichen Regierungsformen in anderen Ländern, wir sprachen über Monarchien und Demokratien … bis die Kinder selbst das Dritte Reich und die Diktatur erwähnten. Wir haben auch Themen wie die Wahl Barack Obamas aufgegriffen oder später das große Flugzeugunglück in
Polen, bei dem der Präsident und zahlreiche wichtige andere Politiker des Landes ums Leben gekommen waren.
    Als in großen Mengen Öl aus dem Bohrloch in den Golf von Mexiko strömte, suchten wir die Gegend auf der großen Karte, und die Kinder äußerten sich sehr ausführlich und teilweise schon sehr fachkundig zu den Folgen des Ölteppichs. Schnell kommt dann die Frage auf, warum Öl überhaupt auf Wasser schwimmt. Das wäre ein toller Einstieg in ein naturwissenschaftliches Thema mit zahlreichen Versuchen, leider ist die Zeit dafür nicht da, die Ölkatastrophe ist kein Lehrplanthema. Auch der Krieg in Afghanistan interessiert die Kinder, ebenso wie aktuelle Missbrauchsfälle oder die Finanzkrise. „Warum ist eigentlich allen Erwachsenen das Geld so wichtig, anstatt dass alle glücklich leben und Zeit für ihre Kinder haben?” — ein bemerkenswerter Satz für ein siebenjähriges Mädchen. Und Josele meinte letztens, Morgenkreis sollte den ganzen Tag sein, das sei immer so spannend und interessant.
    Es liegt auf der Hand, dass ich mich für die eben und im Folgenden weiter beschriebene Art Unterricht über die starren Fünfundvierzig-Minuten-Grenzen hinwegsetzen muss, um den Schultag als Ganzes zu gestalten, damit das Lernen sinnvoller ist und nicht die Zeit als übermächtiges Kriterium das Lernen bestimmt. Manchmal haben wir tatsächlich sogar zwei Stunden im Morgenkreis gesessen.
    Schwierig für mich, wenn ich das im Wochenplan eintrug, denn dann wurde mir gesagt, ich würde meinen Unterricht nicht planen und meine Kinder würden nichts lernen. All das stünde ja nicht im Lehrplan und ich würde nur die Zeit für die Probenvorbereitung verschwenden. Ich müsste pro Dreiviertelstunde das Stundenthema, das Arbeitsblatt und die Buchseite angeben, und jetzt wären gerade Mathematik und Deutsch dran gewesen. Oder ich hörte mir an, ich würde meine Kinder überfordern und schon Gymnasialstoff mit ihnen durchnehmen. Wie traurig, wenn man nicht merkt, dass alles, was wir lehren, in der Welt bereits vorhanden ist, und eine Überforderung nicht durch die Inhalte entsteht, mit denen man sich befasst, sondern weil das Beherrschen von bestimmten Fähigkeiten und speziellem
Wissen zu einem bestimmten, oft verfrühten Zeitpunkt verlangt wird.
    Aufbau von Lehreinheiten und Stunden — so gehe ich vor
    Meinen Unterricht bereite ich meist in Sequenzen und in großen Zusammenhängen vor. Bei in sich abgeschlossenen Themen, wie etwa „Hecke“, „Geschichte des Ortes“ oder „Strom“ arbeite ich mich jedes Mal wieder neu gut ein und überlege mir, was ich zu einem Thema für wichtig halte. Dann wähle und erstelle ich unter Berücksichtigung des Lehrplans und der dort verbindlich vorgegebenen Inhalte die für diese Kinder stimmigen Materialien. Vorrangig ist für mich, dass grundlegende Prinzipien verstanden werden und dass ein Thema umfassend aufgenommen wurde. Statt das Thema in einzelne Lernziele auf Stunden aufzuteilen, steht es meist von Anfang an ganz im Raum. Die

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