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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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oder unterrichte. Das Beste, was ich für die Kinder tun kann, ist also, auf mich zu achten und mich weiterzuentwickeln. Wie schön für mich, wenn ich dann Kinder beobachten kann, die sich im Konfliktfall Zeit nehmen und sagen: „Es gibt für alles eine gute Lösung. Komm, setz dich und wir reden miteinander”, oder für sich in Ruhe nach einer guten Lösung in schwierigen Situationen suchen, anstatt zu verzweifeln.
    Statt ein Verhalten einzufordern, sollte man als Lehrer immer wieder hinterfragen: Was brauchst du …? Was brauchst du, damit du ein guter Schüler sein kannst? Was brauchst du, damit du mit deinen Mitschülern gute Beziehungen leben kannst? Was brauchst du, damit …? Es gibt dann keinen „Schläger“ mehr und keinen „Lügner”, es gibt dann nur Kinder, die zum einen wohl noch einen Grund haben, warum sie sich so verhalten, und zum anderen vielleicht auch gar nicht wissen, wie es anders geht. Was brauchst du, damit …? — das kann der Stift zum Schreiben sein, eine Erklärung, eine innere Vision, einfach nur Zeit oder Vertrauen und Raum, oder eben auch eine Erfahrung, die ermöglicht wird. Es gibt dazu wunderbare Übungen, um sich zunehmend besser in jemanden einspüren zu können, sodass man dann gute Angebote machen kann. Man kann beispielsweise üben, sich über die Körperhaltung, den Gesichtsausdruck,
das Verhalten in ein Kind hineinzuversetzen. Man ahmt oder stellt es nach, um erleben zu können, wie es sich fühlt. So kann man beispielsweise die Körperhaltung eines Kindes einnehmen, sich auf seinen Platz setzen oder so sprechen, wie dieses Kind es tut. Eine andere Übung ist es, abends vor dem Zubettgehen einen inneren Dialog mit diesem Kind zu führen, Fragen zu stellen, die man dann mit in die Nacht nimmt. Oft geschieht allein dadurch schon einiges, so verwunderlich das erscheinen mag. Jeder von uns kennt den Ausdruck „eine Nacht darüber schlafen“ und wohl jeder weiß, dass sich Dinge dadurch tatsächlich oft klären, greifbarer werden. Die Waldorfpädagogik nutzt diesen Vorgang bewusst, auch beim fachlichen Lernen.
    Diese Übungen sind sehr hilfreich. Denn jeder weiß, wie schwierig es ist, wenn man Hilfe angeboten bekommt, diese aber für einen selbst gar keine Hilfe darstellt. Nach meiner Erfahrung nimmt jeder Mensch Angebote an, wenn es sich dabei für ihn tatsächlich um Unterstützung handelt und dies nicht nur in den Augen anderer so ist. Letztlich kann ich nicht wissen, ob etwas hilfreich ist.
    Die Entscheidung und die Wahl habe ich dem Kind zu überlassen. Es ist ein ständiger, oft innerer Dialog. Wenn Kinder dahingehend aufwachsen sollen, einen eigenen Willen und ihre ureigenste Persönlichkeit zu entwickeln, ist die Grundregel, ihnen nichts aufzuzwängen oder überzustülpen. Das ist die Bedeutung von „Respekt“. Jede Botschaft von der Art „Ich weiß besser als du, was mit dir los ist, was du brauchst“ schadet; das Kind, eigentlich jeder Mensch, ist gezwungen, entweder seine Integrität zu verletzen oder das Gegenüber abzuweisen. Vielmehr muss man auch den Kindern schon auf gleicher Augenhöhe und mit Respekt vor ihrer Integrität begegnen.
    Grenzen sinnvoll setzen: so kann es gelingen
    Nun sind Kinder aber immer noch Kinder. Und so kommt dem Pädagogen eine ganz besondere Rolle zu. Er muss einerseits die Grenzen des Kindes achten und ihm innerhalb dieser höchste Integrität ermöglichen — und andererseits die Grenzen so setzen
und erweitern, dass das Kind zugleich beschützt und in der Lage ist, innerhalb der Grenzen die Verantwortung für sein Tun und die daraus folgenden Konsequenzen zu übernehmen. Das gelingt nur, wenn es sich in diesem Raum und mit sich selbst sicher und kompetent fühlt. Die „Hilfe“ wird dann sinnbildlich gesprochen vor die Tore dieser Grenzen gelegt. Das ist etwas ganz anderes, als ein Kind ständig an die Hand zu nehmen und ihm zu sagen, was es hier tun und dort sagen soll, ihm ständig etwas zu verbieten oder vorzuschreiben. Damit ein Pädagoge diese meines Erachtens wichtigste Aufgabe erfüllen kann, benötigt er den Raum zur Intuition, denn das Entscheidende findet in Sekundenbruchteilen innerhalb der Beziehung statt. Ein falsches Wort, eine falsche Geste können ein Vertrauensverhältnis zerstören oder eine Grenzüberschreitung darstellen.

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