Was wir unseren Kindern in der Schule antun
klar schriftlich gefordert wird (und selbst wenn oft gar das Gegenteil behauptet wird).
Es darf zwar kleine Abweichungen zwischen den Klassen geben, die werden dann damit begründet, dass in dieser Klasse ausnahmsweise mal mehr hochintelligente Kinder sitzen. Bei Schulen in Einzugsbereichen mit eher wohlhabenden Familien ist der Notenschnitt in der Regel sehr gut und viele Kinder bekommen so die Möglichkeit zu höherer Schulbildung, auch das ist akzeptiert. Doch sollte man als Lehrer nicht mehrfach von der Erwartungshaltung abweichen, die an einer Schule vorherrscht. Man erhält schnell das unangenehme Prädikat âunkollegialâ, oder es wird behauptet, man wolle sich nur bei den Kindern und Eltern beliebt machen, indem man gute Noten verschenkt.
Man tut als Lehrer gut daran, sich rechtzeitig zu erkundigen, wie die Notengebung an einer Schule gehandhabt wird. So ist es in der einen Schule üblich, dass in Sport, Musik und Kunst nur die Noten âEinsâ und âZweiâ, im ärgsten Falle eine Drei vergeben werden, an anderen Schulen wird einem deutlich vermittelt, dass auch in diesen Fächern die Unterschiede der Kinder deutlich hervorgehoben und schlechte Noten gegeben werden müssen. Eine Rektorin meinte, an ihrer Schule würden Proben so geschrieben, dass es nie etwas Schlechteres als eine Vier gibt, Kollegen einer anderen Schule machen beim ersten Treffen klar, dass eine Eins in Deutsch bei ihnen nie gegeben wird und selbst eine Zwei nur äuÃerst selten, weil Kinder in dem Alter einfach kein ausgebildetes Sprachvermögen besitzen. An wieder einer anderen Schule erfährt man gleich im ersten Gespräch, dass jährlich nur etwa drei bis vier Schüler auf das Gymnasium übertreten, an einer anderen Schule sind es âschon immerâ etwa viermal so viel gewesen. Während meiner mobilen Zeit, als ich an verschiedenen Schulen eingesetzt war, habe ich deutlich mitbekommen, dass an jeder Schule ungeschriebene Gesetze über die Notengebung und die Ãbertrittsquote existieren, die den dort arbeitenden Lehrkräften oft selbst nicht bewusst oder eben schon selbstverständlich sind.
Die Auswirkung dieser Beurteilungen auf die Kinder ist jedoch fatal und weitreichend. Die Kinder sind ob ihrer Leistungen stark verunsichert und oft orientierungslos und verhalten sich eigenartig. Haben sie bislang unbeschwert gearbeitet und meist richtige Lösungen gefunden, wundert man sich als Lehrer schon bald über die absurdesten Lösungen und Antworten, die sie nun in den Proben geben. Die Antworten passen nicht zur Frage oder sind gar völlig abwegig, die einfachsten Dinge können die Kinder plötzlich nicht mehr beantworten. Sie schreiben Wörter falsch, die sie schon lange richtig schreiben konnten, selbst ganz normale Rechenaufgaben, die in den Tagen vor der Probe problemlos gelöst werden konnten, gelingen plötzlich nicht mehr. Neben anspruchsvollere Aufgaben schreiben die Kinder ein Fragezeichen und legen das Blatt unbearbeitet zur Seite. âIch krieg eine 6â, schreiben sie noch darauf und malen
ein weinendes Gesicht dazu. Eltern wissen, was ihre Kinder daheim konnten, und verstehen nicht, ja verzweifeln gar darüber, warum das Kind das nicht auch auf dem Probenblatt notiert hat. âMehr übenâ, sagt dann oft der Lehrer. Hilflosigkeit auf beiden Seiten.
Dabei ist dieser Vorgang leicht erklärbar. Kinder stehen bei diesen Probearbeiten massiv unter Druck und die ausgeschütteten Stresshormone verhindern die Konzentration, die Intuition und das kreative Arbeiten (siehe Informationskapitel âLernenâ, Auswirkungen von Stress und Angst, dort ab Seite 203). Kinder lassen sich auch leicht irritieren, wenn Aufgaben nicht klar verständlich gestellt sind und bleiben daher oft weit hinter dem zurück, was sie leisten können. Vielleicht wird deshalb auf den Informationsabenden für Eltern immer betont, dass Frustrationstoleranz eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Eigenschaft für den erfolgreichen Besuch einer weiterführenden Schule ist. Das Notenkarussell dreht sich ja auch dort immer weiter, und wer bislang ein Schüler mit guten Noten war, kann jetzt durchaus bei denen dabei sein, die nun die schlechten Noten bekommen. Da dürfe man nicht aufgeben, trotz der fehlenden Erfolge â über Jahre. Und die Kinder sind beim Ãbertritt gerade mal neun oder zehn Jahre alt.
Dass Deutschlands
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