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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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hatte, man sieht nicht, dass er sich lediglich bei fünf Aufgaben verrechnet, die Sache an sich aber begriffen hat oder dass er die Zahlen einfach unleserlich geschrieben hat. Man sieht nicht, dass lediglich die Aufgabenstellung falsch verstanden wurde oder dass die sieben Rechtschreibfehler alle daher rühren, dass eine einzige Rechtschreibstrategie nicht verstanden wurde.
    Der Unterschied zwischen einer Eins und einer Fünf ist groß. Der Unterschied in der zugrunde liegenden Leistung gar nicht. Hier werden aus Ameisen Elefanten gemacht. Elefanten, die uns dann die Sicht darauf nehmen, dass ein gemeinsames Lernen nicht nur möglich, sondern sogar sinnvoll und bereichernd ist. Unser Schulsystem missachtet die für mich wichtigste Grundregel der Neurobiologie: Der Mensch braucht Erfolg, um weiterzumachen. Erinnern wir uns: Im Gehirn sitzt so etwas wie eine Schaltstelle, die prüft, ob eine Aktion erfolgreich sein kann. Ist die Aussicht eher gering, wird diese Aktion nicht ausgeführt. Ist die Aussicht groß, werden Glückshormone ausgeschüttet (siehe auch Informationskapitel „Lernen”, dort ab
Seite 202). Das bedeutet: Schlechte Noten demoralisieren nicht nur in dem Moment, wenn das Kind sie bekommt, sondern sie verhindern auf Dauer auch rein biologisch gesehen das Entstehen neuer Motivation und Anstrengungsbereitschaft. Dass Kinder da überhaupt noch lernen, verdanken sie der Tatsache, dass sie oft die Messlatte unbewusst nach unten setzen und viele Kinder dann schon für eine Drei dankbar sind, weiter nach oben streben sie schon gar nicht mehr. Aber auch Einserschüler sind vor der Macht der Noten nicht gefeit. Bei ihnen bleibt die ständige Angst, beim nächsten Mal vielleicht keine gute Note zu erhalten.
    Vielleicht sollte sich Schule da etwas vom System der Computerspiele abschauen. Gründe, warum Kinder dort beständig dabeibleiben, sind, dass sie genau wissen, was ihnen gelingen muss, um erfolgreich zu sein, dass sie immer wieder von vorn anfangen können, immer wieder eine neue Chance bekommen, ohne spürbare Konsequenzen. Und dass sie beständig Erfolgserlebnisse haben. Sie haben die Aussicht auf höhere Level und steigen beständig auf, sie fühlen sich bestens, sie erfahren: Hier bin ich wer, das kann ich, hier bin ich gut. Kinder brauchen erreichbare Ziele.
    Sonst geschieht das, was in Deutschland heute der normale Zustand an Schulen ist: Wir haben innerhalb kurzer Zeit eine Masse an Schülern „erschaffen“, die keine Freude am Lernen mehr haben, die selbst die einfachsten Dinge nicht mehr beherrschen, die verunsichert sind, die nicht oder nur unzureichend rechnen, lesen und schreiben können und negative Überzeugungen über sich und ihr Leistungsvermögen verinnerlicht haben. Diese Kinder zum Lernen zu motivieren, ist kaum möglich und kann wirklich nur noch gelingen, wenn man ihnen den Glauben an sich selbst wiedergibt und erreichbare Ziele setzt. Die Hoffnungslosigkeit und die Verzweiflung, der Lernfrust und die Abneigung gegen Schule sind nicht von Anfang an da, sie werden gemacht. Die unsägliche Art der Leistungsmessung und Leistungsbewertung an unseren Schulen produziert dies alles bei unseren Kindern, wenn diese gerade sieben oder acht Jahre alt sind und die ersten Beurteilungen bekommen.

Was wir ändern müssen und können
    Fragen, die man falsch gestellt,
Schafft man nicht mehr aus der Welt;
Man verbringt dann seine Tage
Grübelnd über solcher Frage,
Und man kann’s noch Gnade nennen,
Stirbt man ohne zu erkennen
Dass man sich umsonst geplagt
Weil man eben falsch gefragt.
Dann vermacht man - Trost im Sterben! -
Jene Fragen seinen Erben.
    Fritz Riemann
    Unsere inneren Überzeugungen — unsere Haltung
    Falsch gestellte Fragen.
    Die Frage sollte nicht lauten: Wie ist der Übertritt humaner zu gestalten? Die Frage sollte auch nicht lauten: Verlängerte Grundschulzeit ja oder nein? Oder: Wie können wir Leistungsmessung noch genauer und gerechter gestalten, wie können wir noch präziser prüfen, um gerechter zu verteilen und gerechtere Urteile zu fällen?
    Es wird darauf niemals grundlegend hilfreiche, weiterführende Antworten geben, weil die Fragen falsch gestellt sind. Diese Fragen setzen bereits im derzeitigen Schulsystem an und sind auch nur innerhalb dieses Systems folgerichtig.
    Doch unser Schulsystem baut auf einem überholten Menschenbild und einer veralteten

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