Was wir unseren Kindern in der Schule antun
einen bis fünf Sitzplätze mit der Note âFünfâ, eventuell noch ein bis drei mit der Note âSechsâ. Die Frage ist also nur noch: Wer nimmt auf welchem Stuhl Platz? Wenn aber der Schnitt schon mehr oder weniger vorher festgelegt ist, muss es immer Kinder geben, die auf den hinteren Plätzen sitzen. Und die gibt es auch. In jeder Klasse. Die Sitzverteilung kann natürlich auch geringfügig anders sein, dennoch: Wenn das Ziel ist, zu selektieren, wird es eine derartige Verteilung geben, auf welche Art und Weise auch immer. Die verschiedenen Schularten existieren schlieÃlich â und müssen bedient werden. Doch verdecken die zugeordneten Notenstufen nicht allzu leicht die Tatsache, dass die Unterschiede eventuell gar nicht so groà sind, wie es die Noten erscheinen lassen? Noten suggerieren Unterschiede im
Leistungsstand und in der Leistungsfähigkeit von Kindern, die in der Realität so nicht vorhanden sind. Zumindest zunächst nicht, bevor Demoralisierung und Demotivation dafür sorgen.
Von den Proben mit Reproduktions-, Reorganisations- und Transferaufgaben sowie den Aufgaben zum problemlösenden Denken können geplagte Eltern ein Lied singen â selbst wenn sie von diesen Termini noch nie etwas gehört haben. Eltern erleben, dass es einfach Aufgaben in den Proben gibt, die sie als unfair empfinden, die so gestellt sind, dass man sie eigentlich nicht lösen kann, sei es aufgrund der begrenzten Zeit, sei es, weil sie unklar, zweideutig oder kompliziert formuliert sind. Typische Einser- und Zweierbremsen, die nur der Selektion dienen, sagen sie. Manchmal sind die Bilder in der Probe nicht gut zu erkennen, manchmal werden Diktate viel zu schnell diktiert, es wird etwas zu explizit abgefragt, zum Beispiel ein genauer Wortlaut oder etwas, das nur am Rande zum Thema gesagt wurde. Einspruch ist meist zwecklos, im Zweifelsfall handelte es sich eben um eine der berühmten Transferaufgaben oder etwas mündlich Durchgenommenes, und das Kind hat halt nicht zugehört. Was sollen Eltern dagegen einwenden? Eltern erleben, dass es nicht darum geht, dass ihr Kind etwas kann. Sie erleben, dass scheinbar mit Absicht Fragen gestellt werden, die offensichtlich nur zum Zweck haben, dass viele Kinder sie nicht richtig beantworten können. Eine Eins bekommt man inzwischen nur noch mit einer fast vollen Punktzahl, dann aber finden sich Fragen wie beispielsweise die folgenden:
In einer Heimat- und Sachunterrichtsprobe in der vierten Klasse müssen die Kinder sowohl für das Verkehrsschild âGemeinsamer Rad- und FuÃwegâ als auch âGetrennter Radâ und FuÃwegâ, bei denen jeweils die Zeichen und selbst die Teilungslinien vorgegeben sind, den FuÃgänger und den Radfahrer in das richtige Feld einzeichnen. Sie müssen also angeben, ob der FuÃgänger rechts oder links, oben oder unten eingezeichnet ist. Ehrlich gesagt, ich wüsste das nicht â wichtig ist doch, die Bedeutung des Verkehrszeichens zu kennen, oder nicht?
In einer anderen Probe werden die Kinder gefragt, wie viele Körner eine Weizenähre hat und welche Getreideart die
meisten Körner in der Ãhre hat â im Unterricht war das zwar nicht besprochen worden, aber die Kinder haben ja verschiedene Ãhren gesehen und sollen nun aus der Erinnerung heraus schätzen können.
In einer Leseprobe, die zeitlich so limitiert ist, dass die meisten Kinder den Text kaum ein zweites oder drittes Mal durchlesen können, wird nach genauem Wortlaut im Text gefragt, Ausdrücke sollen durch andere ersetzt werden, ohne den Sinn zu verändern, und zu vorgegebenen Wörtern soll ein Synonym im Text gefunden werden. Ein konkretes Beispiel: Zum Wort âtaumelnâ müssten die Kinder dann im Text die Wendung âder Schmetterling glitt langsam hinunterâ finden.
In einer zweiten Klasse wird gleich eine vierseitige Leseprobe geschrieben, Antworten gelten nur als richtig, wenn sie in einem ganzen Satz formuliert sind â auch wenn der Platz zum Schreiben dafür gar nicht ausreicht. Die Kinder haben erst vor wenigen Monaten lesen gelernt und sind immer noch am Ãben.
In einer anderen Probe zur Verkehrserziehung ist ein Fahrrad abgebildet. Einige Teile sind beschriftet â in einer SchriftgröÃe von fünf Punkt! Die Kinder sollen die zur Verkehrssicherheit notwendigen Teile ankreuzen und aufschreiben, welche Teile auÃerdem noch zu einem
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