Was wir unseren Kindern in der Schule antun
jeweils eine Probe. Dabei sollte natürlich der Lehrplan eingehalten werden, der gut zehn Themen für das Schuljahr vorsieht. Und das sind Themen wie âStromâ oder âdas Skelett des Menschenâ³ â mit denen allein man sich wochenlang beschäftigen könnte. So aber werden die Inhalte jedes einzelnen Themas in drei bis vier Wochen mit jeweils einer Doppelstunde durchgezogen. Ob das sinnvoll ist, interessiert nicht. Wichtig ist, dass die Noten erstellt sind. Wichtig ist, dass der Unterricht über das entsprechende Stoffgebiet nachgewiesen werden kann. Wichtig ist, dass die Hefteinträge oder Arbeitsblätter als Nachweis vorliegen. Eltern könnten sich sonst
beschweren. Notfalls hat das Kind halt nicht aufgepasst oder daheim zu wenig gelernt â in der Schule wurde ja alles besprochen, oder es steht auf einem Arbeitsblatt oder im Schulbuch, das daheim als Hausaufgabe gelesen werden sollte.
Ich bereitete die Stunden akribisch vor, damit ich das für die Proben notwendige abfragbare Wissen komprimieren und Zeit für wenigstens ein bisschen anregende Versuche und Experimente rausschlagen konnte â groÃer Aufwand für im Endeffekt wenig Nutzen. Denn nur weil ich irgendeinen Versuch noch mit in die Stunde hineinpresse, diesen unter ständiger Strafandrohung wegen des hohen Lärmpegels durchführe, entwickelt sich doch kein Interesse an der Thematik. Eigentlich sollten Kinder selbst und mehrfach Versuche durchführen! Dafür müsste den Klassen dann aber gleich ein Vielfaches der Zeit zur Verfügung stehen, die man heute hat, und in der Regel auch eine deutlich bessere materielle und technische Ausstattung.
An den Besuch einer Ausstellung oder einer Forschungseinrichtung ist sowieso nicht zu denken, immerhin habe ich die Kinder nur zwei Schulstunden an diesem Tag und bin selbst die anderen vier Stunden in anderen Klassen eingesetzt. Bei diesem engen Zeitrahmen bleibt höchstens die Möglichkeit für einen Unterrichtsgang drauÃen im Freien in der Nähe der Schule. Aber auch das ist fast undenkbar, zu wenig abfragbares Wissen in, relativ gesehen, zu viel Zeit. Oder sollte man die Gelegenheit nutzen, um sich eine Aufgabenstellung in der freien Natur einfallen zu lassen und bei jedem der neunundzwanzig Schüler in dieser denkbar knappen Zeit gleich eine praktische Note abzunehmen?
Doch auch als Klassenlehrerin in der Grundschule hat man ähnliche Probleme. Sicher: Man hat mehr Unterrichtsstunden in der Klasse und dadurch ab und an die Gelegenheit, Inhalte hin und her zu schieben. Man versucht die Zeit herauszuarbeiten, um ein wenig intensiver das eine oder das andere bearbeiten zu können, oder man nutzt die Kunststunde vor der morgigen Mathematikprobe noch einmal zum Ãben. Häufig beschweren sich dann aber â an sich auch zu Recht â wieder die Eltern, dass man diese wertvollen musischen Stunden ausfallen lässt oder
an einem Tag ein Fach bespricht, an dem dieses gar nicht im Stundenplan steht. Dabei ist das oft die einzige Möglichkeit, in Fächern, die nicht jeden Tag unterrichtet werden, wie eben beispielsweise HSU oder Musik, Stoff zu intensivieren.
Man versucht, durch Arbeitsblätter mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen jedem Kind gerecht zu werden, empfiehlt, daheim gut zu lernen, gibt Hausaufgaben auf, die die Inhalte vertiefen. Zeit für den einzelnen Schüler bleibt wenig, ihm das noch einmal erklären - das würde man gern, aber wann? Nächste Woche ist die Probe, und nicht nur die, sondern auch noch die in HSU - und das Diktat. Für alles müsste man noch üben. Irgendwann findet man sich notgedrungen damit ab, dass es Kinder gibt, die das nicht verstehen. Es gibt eben nun mal dumme Kinder, heiÃt es dann. Der Blick darauf, dass das vielleicht nur eine Frage der Zeit und der Art der Vermittlung ist, wird einem in diesem Schulsystem völlig verstellt.
Eine Probe sollte als eine Grundlage zur individuellen Förderung betrachtet werden, damit man erfährt, wo Defizite und Schwächen liegen. Das klingt gut. Doch nach der Probe geht es weiter zum nächsten Stoffgebiet, für das wieder nur ein paar Unterrichtsstunden bis zur nächsten Probe bleiben. Und um das Aufarbeiten der in der vorhergehenden Probe sichtbar gewordenen Schwächen müssen sich häufig die Eltern kümmern. Es wundert mich nicht, dass Kinder teilweise in der zweiten oder dritten Klasse schon deutliche
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