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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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besondere Erfahrungen aus dieser Zeit mit: Lernen bedeutet an diesen Schulen nicht Pauken, und der gesamte Unterricht wird ganz anders vorbereitet. Denn Lernen soll ein Erleben sein, das die Persönlichkeit prägt. Allerdings meint Erleben nicht, möglichst viel Brimborium zu veranstalten, sondern jedem Menschen seinen eigenen freien, inneren Raum zu lassen, in dem eine ganz individuelle Auseinandersetzung mit den Dingen, Eindrücken und Gefühlen stattfindet.
    In der Waldorfausbildung hatten wir beispielsweise einmal ein ganzes Wochenendseminar über Goethe. Vor diesem Seminar graute mir aufgrund meiner eigenen Regelschulerfahrungen
sehr — Staubtrockenes erwartete ich, Zahlen, Fakten, Textanalysen. Doch es wurde zu einem unvergesslichen Erlebnis. Ich hatte einen wunderbaren Lehrer, dem es gelang, durch sein Erzählen den Menschen Goethe für mich lebendig werden zu lassen. Gebannt folgte ich der Geschichte über Goethes unglückliche Liebe oder über seine Sehnsucht, die Urpflanze zu finden, die ihn schließlich bis nach Italien führte. Ich lernte die lebendige Methode des Erzählens kennen, mit der es gelingen kann, innere Bilder im Zuhörer zu erzeugen und ihn emotional mit den Inhalten zu verbinden. Ich kam hier meiner eigenen Suche danach, wie man „innere Landkarten“ bei Kindern erzeugen kann, ein gutes Stück näher: durch „richtiges“ Erzählen, das ein wirkliches Erleben möglich macht. Spannend war auch für mich, wie sich das Erzählen je nach Alter der Zuhörer ändern muss, um erfolgreich zu sein. Erzählen ist eine wahre Kunst, die gut vorbereitet werden muss, und ich fühle mich immer wieder wie eine Anfängerin darin.
    Wie fein und gründlich sich die Waldorfpädagogik mit der Menschenkunde auseinandergesetzt hat beziehungsweise sich an ihr orientiert, konnte ich bei der Umsetzung der in dieser Ausbildung erworbenen Erkenntnisse bei meinen Schulkindern oft bestätigt sehen. Die Fragen „Was ist ein Kind?“ und „Was ist der Mensch?“ durchdrangen jegliche Beschäftigung. Leider gab es in meinem Lehramtsstudium kaum Ansätze dazu, dabei sind das die Kernfragen, um die sich Erziehung und Pädagogik ranken sollten.
    Vielleicht muss man manche Einsichten von der „Ideologie“ trennen, aber das Wissen dahinter ist sehr wertvoll. „Das Leben ist gut“ ist eine Grunderfahrung, die schon die Kleinsten zutiefst erleben sollten: Was bringt es, mit einem vierjährigen Kind zu schimpfen, wenn ihm ein Teller heruntergefallen und zerbrochen ist, obgleich es wahrscheinlich sowieso vor Schreck weint? Wie anders verläuft die Situation, wenn man das Kind stattdessen in die Arme nimmt, seine Tränen trocknet und ihm sagt: „Es ist nicht schlimm. Lass uns jetzt die Scherben aufheben. “ Meiner Erfahrung nach empfinden Kinder auf diese Art eine beruhigende Sicherheit und achten danach eher mehr auf
ihre Umgebung. Werden sie ständig ausgeschimpft, scheinen sie mir viel ängstlicher und oft passieren gerade dadurch erneut Missgeschicke.
    Im Schulalter dann sind die wichtigen Grunderfahrungen „das Leben ist schön“ und in den Jugendjahren „das Leben ist wahr“. Erst jetzt wird wichtig, wie das Leben wirklich ist, mit Schmerz und Leid, mit Falschheit und Lüge, Gut und Böse. Im Jugendalter wollen Kinder wissen: Wer bist du? Was ist wahr? Es geht dabei weniger darum, über einen Menschen zu urteilen, als ihn zu demaskieren. Bist du echt? Die zahlreichen Provokationen von Jugendlichen gegenüber ihren Eltern oder Lehrern dienen nicht zuletzt vielfach dazu.
    Es ist interessant, dass es in der Waldorfpädagogik weniger darum geht, sich mit äußeren Vorgängen zu beschäftigen, sondern vielmehr um die dahinterliegenden Bedürfnisse und die innere Entwicklung. Kinder leben in Qualitäten, also in Wesensmerkmalen — und auch wir Erwachsenen würden davon sehr profitieren. Begriffe sind notwendig, um sich verständigen zu können, fallen aber für Kinder weit hinter das „ Wie etwas ist“ zurück.
    Ist eine direkte Erfahrung nicht möglich, kann man diese ein Stück weit durch gutes Erzählen ersetzen: Erzählt man Kindern eine Geschichte von einer Katze und lässt sie dabei buchstäblich das samtweiche Fell spüren oder das sanfte Schnurren hören, nehmen die Kinder schnell auf, welche Körperteile eine Katze

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