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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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hat, und können dieses Wissen verwenden. Auch wenn Erzählen das tatsächliche Erleben nicht ersetzen kann, so kann doch die Vorstellung, die durch eine gute Erzählung hervorgerufen wird, dem Erleben sehr nahe kommen. Gibt man Kindern dagegen stattdessen ein Arbeitsblatt, bespricht die Begriffe, benennt die Eigenschaften der einzelnen Teile, so sind viele Kinder nicht in der Lage, anschließend die Körperteile eines Tieres zu benennen. Der Zugang ist also über das — wenngleich in diesem Fall innere — Erleben des „Wie“ zu suchen.
    Besonders eingeprägt hat sich mir in diesem Zusammenhang auch der Begriff des „antipathischen Prozesses“. Er bedeutet, dass es eine unbewusste innere Abwehrhaltung hervorruft,
wenn man den Lernprozess von der Sache als solches loslöst und vom Kind nur abstrakt verlangt, „etwas zu lernen“. Das Kind muss mit der Sache im Erleben verbunden sein, ja es sogar als zu seiner Welt gehörig empfinden, um auch die damit zusammenhängenden Begriffe zu verinnerlichen. Das erleben viele Eltern bei ihren Kindern: Diese verweigern das Lernen, weil es für sie nichts mit ihnen zu tun hat. Man kann oft regelrecht die Geste der Ablehnung spüren.
    Auch die Aussage, dass ein Lehrer vor allem durch sein „Sein“ wirkt, deckte sich mit meinen bisherigen Erfahrungen. In der Waldorfpädagogik ist es deshalb wichtig, Studierende und Schüler Erfahrungen machen zu lassen, die sie als Menschen prägen. Ich erinnere mich an eine Höhlenwanderung, bei der wir mit Seilen, Lampen und Spezialausrüstung gut fünfzig Meter in eine Höhle geklettert sind. Als wir dann alle in einem recht kleinen Hohlraum saßen, fühlte es sich an, als wären wir wirklich mitten in der Erde, geborgen und beschützt. Eine unersetzliche Erfahrung, die mit Sicherheit noch immer nach außen strahlt, mich hat das geprägt. Eine andere Erfahrung dieser Art war es, aus Ton zunächst einen Babykopf zu modellieren und ihn dann durch weitere Veränderungen nach und nach immer älter aussehen zu lassen, bis hin zum Greis. Es ist schier unbegreiflich, welches Wissen über den Menschen sich allein durch diese Tätigkeit vermittelt — wenn man sich auf diesen Prozess einlassen kann.
    Für mich kristallisierte sich zunehmend heraus, dass ich selbst eine sehr alltägliche Frage zur Unterrichtsvorbereitung anders formulierte. Fortan fragte ich mich nicht mehr: Was mache ich morgen mit meinen Kindern? Sondern: Was macht das, was ich mit meinen Kindern tue, mit ihnen? Ist das, was ich mit ihnen tue, wirklich bereichernd für sie? Was muss ich anbieten, um ihnen ein bestimmtes Erleben, eine bestimmte Erfahrung zu ermöglichen? Welche Wirkung wird es auf ihre Persönlichkeit haben? Auch mein Verhalten ihnen gegenüber wurde bewusster: Was bewirkt die Art und Weise, in der ich mit ihnen spreche? Was die Art, wie ich korrigiere? Welchen Unterschied macht es, ob ich ihnen nur sage, was sie falsch machen,
oder ob ich ihnen dabei auch eine bessere Alternative aufzeige? Mein Unterricht veränderte sich dadurch entscheidend. War mir vorher wichtig, was und mit welchem Material ich alles tat — dieses Arbeitsblatt, jener Hefteintrag —, so galt meine Aufmerksamkeit jetzt ganz der Wirkung auf die Kinder. Es sollte mir nur noch selten passieren, dass ich am Ende der Stunde schnell noch ein Arbeitsblatt „reinquetschte”, nur damit es abgehandelt war, auch wenn dadurch die Kinder in Stress gerieten, die Inhalte am Ende nicht verstanden hatten und somit eher eine Abneigung gegenüber der Sache entwickelten, als an ihr zu gewinnen. Auch war es nun nicht mehr so einfach, den Kindern die Schuld daran zu geben, wenn etwas nicht geklappt hatte — vielmehr hatte wohl ich etwas falsch gemacht, wenn sie etwas nicht verstanden: Ich hatte in diesem Fall dann nicht das Richtige gefunden, das die Kinder annehmen und womit sie umgehen konnten.
    Lernprobleme in großen Zusammenhängen sehen
    Als meine Waldorfausbildung sich dem Ende zuneigte, besuchte ich eine Heilpraktikerschule. Ich glaube, Gesundheit hat viel mit gutem Unterricht zu tun, und umgekehrt kann schlechter Unterricht richtiggehend krank machen. Das war mir auch schon in der Waldorfausbildung vermittelt worden. Die Berichte über zunehmende Erkrankungen bei Kindern machten mich nachdenklich, wurden sie doch häufig auch in den Zusammenhang mit Schule gebracht.

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