Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)
längst vor unserer Zeit Geschaffenes beziehen und in vielfältiger Weise in Resonanz stehen zu dem, was es auf dieser Welt gibt.
Durch die Resonanz mit diesen kulturellen Erzeugnissen wird unser eigener Vorstellungsraum geöffnet. Sie regt unsere eigenen Imaginationen und Fantasien an. Resonanz heißt, zurücktönen. Töne sind Schwingungen. Und in der Resonanz vermitteln Schwingungen, dass man mitschwingen kann: Bilder des persönlichen Lebens werden dann mit Bildern der Kultur und damit auch des kollektiven Unbewussten abgeglichen und können einander beeinflussen. Dadurch wird die Bilderwelt in unserer Psyche belebt: Erinnerungsbilder und Sehnsuchtsbilder werden lebendig, wir fühlen uns wieder lebendiger, spüren unsere Gefühle wieder besser und sind dadurch näher bei uns selbst. Und wir gewinnen neue Themen, die uns interessieren und die wir reflektieren. Wir erfahren in der Folge unser Leben als sinnvoll und erleben Sinn. 59
In der Resonanz mit kulturellen Erzeugnissen und den damit verbundenen eigenen Imaginationen werden in uns Möglichkeiten zur Veränderung, oder zumindest Hoffnung auf Veränderung, freigesetzt. Das Reflektieren über die Inhalte kann zu psychologischen Einsichten verhelfen, die uns wiederum Kompetenzen erschließen, mit den vielen anstehenden Veränderungen im Alter umzugehen. Kulturelle Erzeugnisse machen uns aber auch deutlich, dass wir nicht alleine mit dem entsprechenden Problem zu kämpfen haben, sondern dass es ein Thema vieler oder sogar aller Menschen ist. Wir können hier in symbolischer Form Vorschläge finden, wie mit diesen Themen umgegangen werden kann.
In eine Kultur werden wir hineingeboren. Sie entscheidet zum Beispiel, ob wir rosa angezogen werden oder hellblau und vieles andere mehr, was nicht so offensichtlich ist. Die Kultur, in die wir hineingeboren worden sind, ist wie die Luft, die wir atmen. Zuerst haben wir eine kulturelle Identität, das ist unser Wurzelstock, aus dem sich die individuelle Identität entwickelt. Durch Imitation, Identifikation und Kommunikation mit der Familie und dem familiären Umfeld entwickeln wir ein Gefühl einer sicheren Identität: Da gehören wir hin, da gehören wir dazu. Wenn wir Glück haben, werden wir auch mit Interesse und Liebe von dieser Familie aufgenommen. Schritt um Schritt entwickelt sich dann die individuelle Identität, die immer in die kulturelle Identität eingebettet bleibt. Unsere Sprache, die Erzählungen, die Mythen, die Märchen, die Filme, die Literatur, die Musik, die Kunst, die Religion, unsere bevorzugte Form von Wissenschaft – sie gehören zu uns. Unbewusst spricht uns etwas besonders an: Hier wirkt das kulturelle Unbewusste, das uns bewusst werden kann.
Oder aber wir werden damit konfrontiert, dass andere Kulturen andere Geschichten bevorzugen. Viele Probleme im Alltag können wir leicht lösen, weil es kulturelle Muster dafür gibt, die wir nicht bewusst reflektieren: zum Beispiel in unserem Gruß-Verhalten.
Dieses kulturelle Unbewusste besteht aus dem Gedächtnis verschiedener weit zurückreichender Kulturen. Dieses Gedächtnis ist entstanden durch Kommunikation. Es ist in Büchern und Archiven niedergelegt und offenbar auch in unseren Psychen. Symbolische Prozesse in der Literatur, in Märchen, in Mythen, in der Musik und in der Malerei wirken dabei wie Übergangsobjekte: Aus dem Schatzhaus der menschlichen Vergangenheit stammend, können sie eine symbolische Anregung für unsere spezielle Lebenssituation geben. Unsere aktuellen Träume, aber auch unsere speziellen Lebenssituationen mit den damit verbundenen Emotionen, können uns zu den spezifischen kulturellen Erzeugnissen hinführen. Das kulturell vermittelte Symbol weckt Symbole in unserer Psyche, und damit werden wir belebt. Wir sind dann psychisch wieder im Fluss, nicht mehr festgefahren, sondern es bewegt sich wieder etwas: Vorstellungen, Fantasien, Sehnsüchte werden wach.
Natürlich müssen die Bilder, die geweckt werden, wieder mit der eigenen Situation, mit dem Alltag, verknüpft werden.
Die weiße Kuh
Eine 78-jährige Frau weiß nicht so recht, wie sie ihr Alter leben soll. Ihre Kinder werfen ihr vor, sie sei zu sehr auf sie bezogen. Ihre Freundinnen finden, sie verströme Langeweile, sie vermittle immer die Aufforderung, sich um sie zu kümmern und sie zu unterhalten. Sie selbst findet, sie entwickle sich nicht mehr, sei »stecken geblieben«, seit ihr Mann, den sie als sehr anregend empfand, gestorben sei.
Bei der
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