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Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)

Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition)

Titel: Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben: Die Kraft des Lebensrückblicks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Kast
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Rekonstruktion der Freudenbiografie spricht sie oft davon, dass sie schon seit jungen Jahren immer wieder Kunstausstellungen besucht hat, dass Bilder sie anregen, beleben und mit Freude erfüllen. Gibt es ein spezielles Bild, das sie gerade vor Augen hat? Ja, im Moment der Frage die weiße Kuh von Wassily Kandinsky. »Die erscheint sofort vor meinem inneren Auge: Die war mir wichtig, die Farben haben mich erstaunt und dann einfach erheitert. Es ist ein ungemein heiteres Bild! Ich werde es noch einmal ansehen, und vielleicht kann ich auch eine passende Musik dazu finden. Schon wenn ich nur daran denke, werde ich innerlich heiter und erheitert und fühle mich beschwingt.« Und dann fallen der Frau einige andere Bilder ein, die sie in einer ähnlichen Weise ansprechen. In der erinnernden Vorstellung freut sie sich, fühlt sich belebt und beschwingt. Die Frau sagt, sie wisse jetzt auch wieder, worüber sie wirklich sprechen könne, und sie habe auch Lust, über diese ihre Erfahrungen mit Kunst mit ihren Freunden und Freundinnen zu sprechen.
     
    In einer weiteren Sitzung erzählt sie, sie habe vor ganz langer Zeit den Film »Die unwürdige Greisin« gesehen,– der habe sie sehr beeindruckt und sie habe beim Zuschauen auch Freude empfunden. Auch die Geschichte von Brecht habe sie gelesen. Was ist ihr geblieben?
    Eigentlich nur wenig: Sie erinnert sich, dass die Greisin sich nicht so benahm, wie die Kinder es erwartet hatten, dass sie sehr eigenwillig war, bei einem Flickschuster Wein trank und mit jungen Menschen über Politik sprach. Sie stellt sich vor, dass diese alte Frau radikal das lebt, was sie leben wollte und sich nicht an die Erwartungen der Kinder oder Freunde hielt. Diese Freiheit wolle sie auch haben, bevor sie sterbe.
    Sie liest die Geschichte noch einmal und findet sie als solche gar nicht mehr wichtig; wichtig wird ihr Wunsch, so radikal sein zu dürfen: Überhaupt spüren zu dürfen, was sie selber sich noch wünscht, was sie noch in ihrem Leben verwirklichen möchte, auch wenn es nicht »hochstehend« ist, vor den Augen ihres Ehemannes keine Gnade finden würde. Dann – so findet sie –, hätte ihr Leben wieder einen Sinn. Mit der Angst umgehen, dass die anderen sie jetzt für schrullig halten könnten, das war ihr eine Herausforderung, die sie belebte.
    Sie erlebt eine neue Dankbarkeit, indem sie spürt, dass in der Welt der Kultur unendlich viele Anregungen zu finden sind, die sie zwar zum Teil schon immer als solche wahrgenommen hat, ohne sie aber wirklich zu schätzen und zu nutzen. Es ging früher eher darum, dass man ein bestimmtes Buch gelesen hatte, als dass man sich fragte, was das Buch in einem selbst für Entwicklungen anstoßen könnte. Jetzt aber nutzt sie diese kulturellen Anregungen für Entwicklungsschritte, indem sie sie nicht nur konsumiert, sondern sich in Resonanz dazu setzt, sie als Anstöße begreift, die sie auch gerne weitergibt und andere damit anregt. Sie hat Brachliegendes gefunden und belebt, das ihr neu wieder Sinnerfahrung vermittelt.
     
    Dieses Beispiel lässt uns fragen, welche kulturellen Erfahrungen bestimmend für unsere Biografie waren: Wo haben wir die ersten Kunstbilder gesehen? Mit wem? Wie wurden sie uns vermittelt? Welche Gefühle lösten sie aus?
    Wer musikbegeistert ist, wird die verschiedenen Formen der Musik, die im Laufe eines Lebens wichtig waren, erinnern können. Falls man seine Plattensammlung und dann anschließend die CDs nicht entsorgt hat, ergibt sich ein interessanter Lebensrückblick. Auch können verschiedene Musikstücke gefühlsmäßig mit wichtigen Lebensereignissen verknüpft sein, die so wieder ins Gefühl kommen. Eine Fülle an beglückenden Lebenserinnerungen kann sich auftun.
    An welche Filme erinnern wir uns noch? Welche würden wir gerne wieder sehen? Das ist heute meistens kein Problem – das Internet macht es möglich. Wir leben in einer Zeit, in der vieles, was unsere Erinnerung ausmacht, auch im Internet gespeichert ist. Doch es sollte zu unserem Eigenen werden.
    Was haben wir schon alles gelesen? Und vielleicht haben wir ein paar Lieblingsbücher?
    Die kulturelle Welt ist ein großartiger Schatz, den wir im Laufe eines Lebens heben und gehoben haben. Ein Schatz, der uns bleibt, auch wenn der Radius des Lebens kleiner wird. Die kulturellen Erzeugnisse aus allen Zeiten sind voll von Anregungen, die auch im höheren Alter neue Begegnungen erlauben. Was Menschen gedacht, geschrieben, gemalt, in Töne gesetzt haben – es ist alles

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