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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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er.
    »Sie treiben mich dazu – Sie argumentieren zu viel.«
    »Für mich steht sehr viel auf dem Spiel.«
    »Nun, was es auch sein mag«, sagte der Doktor, »Sie haben es verloren.«
    »Sind Sie sich dessen so sicher?« fragte Morris; »sind Sie sich denn sicher, daß Ihre Tochter mich aufgibt?«
    »Ich meine natürlich, Sie haben es verloren, soweit es mich betrifft. Ob Catherine Sie aufgibt – nein, dessen bin ich mir nicht sicher. Aber da ich es ihr dringend raten werde, da ich auf ein beträchtliches Kapital an Achtung und Zuneigung im Herzen meiner Tochter zurückgreifen kann und da ihr Pflichtgefühl in sehr hohem Maß entwickelt ist, halte ich es für durchaus möglich.«
    Morris Townsend begann aufs neue seinen Hut glattzustreichen. » |101| Auch ich habe ein Kapital an Zuneigung zur Verfügung«, bemerkte er schließlich.
    In diesem Augenblick zeigte nun der Doktor seinerseits die ersten Anzeichen von Verärgerung. »Gedenken Sie, mir die Stirn zu bieten?«
    »Nennen Sie es, wie es Ihnen beliebt, mein Herr. Ich gedenke nicht, Ihre Tochter aufzugeben.«
    Der Doktor schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht die geringste Befürchtung, Sie könnten Ihr Leben wegwerfen. Sie sind dazu geschaffen, es zu genießen.«
    Morris lachte auf. »Dann ist Ihr Widerstand gegen meine Heirat um so grausamer. Beabsichtigen Sie, Ihrer Tochter zu verbieten, mich wiederzusehen?«
    »Sie ist über das Alter hinaus, in dem man einem etwas verbietet, und ich bin kein Vater aus einem altmodischen Roman. Aber ich werde energisch in sie dringen, mit Ihnen zu brechen.«
    »Ich glaube nicht, daß sie das will«, sagte Morris Townsend.
    »Vielleicht nicht, aber ich werde tun, was ich kann.«
    »Sie ist bereits zu weit gegangen –«, fuhr Morris fort.
    »Um sich noch zurückzuziehen? Dann erreichen Sie doch, daß sie einhält, wo sie ist.«
    »Zu weit zum Einhalten, denke ich.«
    Der Doktor sah ihn einen Augenblick an; Morris hatte die Hand bereits auf der Türklinke. »Was Sie da sagen, ist reichlich impertinent.«
    »Ich möchte nichts weiter sagen, mein Herr«, erwiderte Morris; und mit einer Verbeugung verließ er das Zimmer.

|102| 13. KAPITEL
    Man könnte meinen, der Doktor sei sich seiner Sache allzu sicher gewesen, und Mrs. Almond gab das auch zu verstehen. Doch er hatte, wie gesagt, seinen Eindruck gewonnen; der schien ihm hinreichend, und er hatte kein Verlangen, ihn abzuändern. Er hatte sein Leben damit verbracht, Menschen einzuschätzen (das war ein Teil des medizinischen Gewerbes), und in neunzehn von zwanzig Fällen hatte er recht.
    »Vielleicht ist Mr. Townsend der zwanzigste Fall«, meinte Mrs. Almond.
    »Vielleicht, obgleich er mir überhaupt nicht nach einem zwanzigsten Fall aussieht. Aber ich will die Zweifel wohlwollend bedenken, und um mich zu vergewissern, möchte ich Mrs. Montgomery aufsuchen und mit ihr sprechen. Sie wird mir ziemlich sicher sagen, daß ich recht getan habe; doch ist es auch nicht unmöglich, daß sie mir beweist, ich hätte den größten Fehler meines Lebens gemacht. Wenn sie das tut, werde ich Mr. Townsend um Verzeihung bitten. Du brauchst sie nicht einzuladen, damit ich sie treffen kann, wie du freundlicherweise vorgeschlagen hast; ich werde ihr einen freimütigen Brief schreiben, ihr darlegen, wie die Sache steht, und sie um Erlaubnis bitten, sie aufzusuchen.«
    »Ich fürchte, die Freimütigkeit wird hauptsächlich auf deiner Seite sein. Die arme kleine Frau wird für ihren Bruder eintreten, wie er auch sein mag.«
    |103| »Wie er auch sein mag! Das bezweifle ich. Die Leute mögen ihre Brüder nicht immer so sehr.«
    »Ach«, sagte Mrs. Almond, »wenn es um dreißigtausend im Jahr geht, die der Familie zufließen –«
    »Wenn sie wegen des Geldes für ihn eintritt, ist sie eine Schwindlerin. Wenn sie eine Schwindlerin ist, werde ich das herausbekommen. Und wenn ich das herausbekomme, vergeude ich keine Zeit mit ihr.«
    »Sie ist keine Schwindlerin – sie ist eine vorbildliche Frau. Sie wird ihrem Bruder nicht übel mitspielen, nur weil er eigennützig ist.«
    »Wenn sie es wert ist, daß ich mit ihr spreche, wird sie eher ihm übel mitspielen wollen, als daß er Catherine übel mitspielt. Hat sie übrigens Catherine schon einmal gesehen – kennt sie Catherine?«
    »Nicht daß ich wüßte. Mr. Townsend kann nicht gerade daran interessiert sein, sie zusammenzubringen.«
    »Wenn sie eine vorbildliche Frau ist, dann freilich nicht. Aber wir werden ja sehen, inwieweit sie deiner Beschreibung

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