Washington Square
entspricht.«
»Ich bin gespannt zu erfahren, welche Beschreibung sie von dir gibt«, sagte Mrs. Almond lachend. »Und wie nimmt es denn Catherine mittlerweile auf?«
»Wie sie alles aufnimmt – als etwas Selbstverständliches.«
»Schlägt sie nicht Lärm? Hat sie keine Szene gemacht?«
»Sie ist nicht für Szenen.«
»Ich dachte, ein Mädchen, das Liebeskummer hat, neigt immer zu Szenen.«
»So verhält sich eher eine lächerliche Witwe. Lavinia hat mir förmlich eine Rede gehalten; sie findet mich sehr tyrannisch.«
|104| »Sie hat eine Begabung dafür, unrecht zu haben«, sagte Mrs. Almond. »Aber Catherine tut mir trotzdem sehr leid.«
»Mir auch. Aber sie wird darüber hinwegkommen.«
»Du glaubst, daß sie ihn aufgibt?«
»Ich rechne damit. Sie hat eine derartige Bewunderung für ihren Vater.«
»Oh, das wissen wir alles. Aber deshalb tut sie mir nur noch mehr leid. Das macht ihre Zwangslage um so qualvoller und das Bemühen, sich zwischen dir und ihrem Liebhaber zu entscheiden, fast unmöglich.«
»Um so besser, wenn sie sich nicht entscheiden kann.«
»Ja, aber er wird dastehen und in sie dringen, sich zu entscheiden, und Lavinia wird auf seiner Seite ziehen.«
»Ich bin froh, daß sie nicht auf meiner Seite zieht; sie ist imstande, eine vortreffliche Sache zu verderben. An dem Tag, an dem Lavinia in dein Boot steigt, kentert es. Doch sie sollte sich lieber in acht nehmen«, sagte der Doktor. »Ich möchte keine Verräterei in meinem Hause haben.«
»Ich nehme an, sie wird sich in acht nehmen; denn im Grunde hat sie große Scheu vor dir.«
»Sie scheuen sich beide vor mir, so harmlos ich auch bin«, entgegnete der Doktor. »Und gerade darauf baue ich – auf den heilsamen Schrecken, den ich einflöße.«
|105| 14. KAPITEL
Er schrieb einen freimütigen Brief an Mrs. Montgomery, die ihn gewissenhaft beantwortete und eine Zeit angab, zu der er in der Second Avenue vorsprechen könne. Sie wohnte in einem schmucken Häuschen aus roten Backsteinen, deren Fugen sehr scharf umrissen in Weiß, frisch gestrichen, hervorgehoben waren. Jetzt ist es, samt seinen Gefährten, verschwunden, um einer Reihe stattlicher Bauten Platz zu machen. An den Fenstern befanden sich grüne Läden, nicht mit Jalousierippen, sondern mit kleinen, in Gruppen angeordneten Löchern durchbohrt. Vor dem Haus lag ein winziger Vorgarten, geschmückt mit einem Busch von rätselhafter Art und umgeben von einem niedrigen Holzzaun, der im gleichen Grün wie die Läden gestrichen war. Die Wohnstätte glich einem vergrößerten Puppenhaus und hätte aus dem Regal eines Spielwarenladens stammen können. Als Dr. Sloper zu seinem Besuch kam, sagte er sich beim Anblick der aufgeführten Dinge, Mrs. Montgomery sei offensichtlich eine kleine sparsame Person, die etwas auf sich hielt – die bescheidenen Ausmaße ihrer Behausung schienen darauf hinzudeuten, daß sie klein von Gestalt war –, die eine rechtschaffene Genugtuung darin fand, sich ordentlich zu halten, und beschlossen hatte, wenn sie schon nicht glanzvoll sein konnte, zumindest makellos zu sein. Sie empfing ihn in einem kleinen Besuchszimmer, das genau dem entsprach, was er erwartet hatte: ein kleines, fleckenloses Gemach, geschmückt mit willkürlich gestaltetem |106| Laubwerk aus Seidenpapier und mit Trauben von tropfenförmigen Glasgebilden, in deren Mitte – um die Analogie weiterzuführen – ein gußeiserner Ofen, der eine nüchterne blaue Flamme ausströmte und stark nach Politur roch, die Temperatur der laubreichen Jahreszeit aufrechterhielt. Die Wände waren mit Kupferstichen, von rosa Flor umhüllt, geziert und die Tische dekoriert mit Bänden ausgewählter Werke von Dichtern, meist in schwarzes Leinen gebunden mit gelbstichiger Goldprägung blumiger Muster. Der Doktor hatte Zeit, von diesen Details Kenntnis zu nehmen; denn Mrs. Montgomery, deren Verhalten er in diesem Fall für unverzeihlich hielt, ließ ihn rund zehn Minuten warten, ehe sie erschien. Zu guter Letzt jedoch rauschte sie herein, während sie ihr steifes Popelinekleid glattstrich, mit einem leicht bangen Erröten auf den anmutig gerundeten Wangen.
Sie war eine kleine, mollige, blonde Frau mit hellen, klaren Augen und einer ausgeprägten Aura von Gepflegtheit und Lebhaftigkeit. Doch diese Eigenschaften waren offenkundig vereint mit einer natürlichen Bescheidenheit, und der Doktor schenkte ihr seine Achtung, sobald er sie erblickt hatte. Ein tapferes Persönchen mit lebhafter Auffassungsgabe und doch
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