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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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Tat sehr intelligent ist –, bringt uns zu der Annahme, wie sehr er auch deine persönlichen Vorzüge schätzen mag, dein Geld schätzt er doch noch mehr. Das Entscheidende, das wir von ihm wissen, ist, daß er ein ausgelassenes Leben geführt und dabei sein eigenes Vermögen durchgebracht hat. Das genügt mir, meine Liebe. Ich wünsche dir, daß du einen jungen Mann mit andern Voraussetzungen heiratest, einen jungen Mann, der positive Garantien bieten kann. Wenn Morris Townsend sein eigenes Vermögen damit durchgebracht hat, sich zu amüsieren, dann muß man mit gutem Grund damit rechnen, daß er auch das deine durchbringen würde.«
    Der Doktor gab diese Feststellungen langsam von sich, mit Bedacht, gelegentlichen Pausen und Dehnungen beim Sprechen, womit er nicht viel Rücksicht nahm auf die spannungsvolle Ungewißheit der armen Catherine, zu welcher Schlußfolgerung er gelangen würde. Sie setzte sich schließlich, den Kopf gesenkt und die Augen immer noch auf ihn geheftet; und seltsam genug – ich weiß kaum, wie ich es ausdrücken soll –, selbst während sie fühlte, daß das, was er sagte, ihr so furchtbar zuwiderlief, bewunderte sie die Eleganz und Würde seiner Ausdrucksweise. Es lag etwas Hoffnungsloses und Beklemmendes darin, sich mit ihrem Vater auseinanderzusetzen; aber auch sie mußte ihrerseits versuchen, eindeutig zu sein. Er war so ruhig; er war überhaupt nicht zornig; und auch sie mußte ruhig sein. Doch gerade ihre Bemühung, ruhig zu sein, brachte sie zum Beben.
    |93| »Das ist nicht das Entscheidende, das wir über ihn wissen«, sagte sie; und in ihrer Stimme lag eine Spur ihres Bebens. »Es gibt noch anderes – noch vieles andere. Er hat sehr große Fähigkeiten – und er möchte so gern etwas tun. Er ist liebenswürdig und großmütig und aufrichtig«, sagte die arme Catherine, die bis dahin gar keine Ahnung von den Möglichkeiten ihrer Beredsamkeit gehabt hatte. »Und sein Vermögen – sein Vermögen, das er aufgebraucht hat – war sehr klein.«
    »Um so mehr Grund, daß er es nicht hätte verschleudern sollen«, rief der Doktor und erhob sich mit einem Lachen. Als dann Catherine, die gleichfalls wieder aufgestanden war, in ihrer ziemlich ungelenken Ernsthaftigkeit dastand, so viel wünschte und nur so wenig zum Ausdruck bringen konnte, zog er sie an sich und küßte sie. »Du hältst mich doch nicht für grausam?« sagte er und hielt sie einen Augenblick fest.
    Diese Frage war nicht gerade beruhigend; sie schien Catherine im Gegenteil auf Möglichkeiten hinzuweisen, die ihr Übelkeit verursachten. Doch sie antwortete hinreichend klar verständlich: »Nein, lieber Vater; denn wenn du wüßtest, wie mir zumute ist – und du mußt es wissen, du weißt alles – dann wärst du so gütig, so wohlmeinend.«
    »Ja, ich glaube, ich weiß, wie dir zumute ist«, sagte der Doktor. »Ich will sehr gütig sein – verlaß dich drauf. Und Mr. Townsend werde ich morgen empfangen. Unterdessen und bis auf weiteres sei so gut und erwähne niemandem gegenüber, daß du verlobt bist.«

|94| 12. KAPITEL
    Am Nachmittag des nächsten Tages blieb er zu Hause und erwartete Mr. Townsends Besuch – ein Verhalten, mit dem er (vielleicht gerade, weil er ein vielbeschäftigter Mann war) seiner Meinung nach Catherines Bewerber eine große Ehre erwies und diesen beiden jungen Leuten um so weniger Grund gab, sich zu beklagen. Morris machte seine Aufwartung in hinlänglich gelassener Haltung – er schien die »Beleidigung« vergessen zu haben, für die er zwei Tage zuvor Catherines Mitgefühl erbeten hatte, und Dr. Sloper ließ ihn unverzüglich wissen, daß er auf seinen Besuch vorbereitet sei.
    »Catherine erzählte mir gestern, was zwischen ihnen beiden vorgegangen ist«, sagte er. »Sie müssen mir die Bemerkung gestatten, daß es Ihnen gut angestanden hätte, mich über Ihre Absichten in Kenntnis zu setzen, bevor sie so weit gelangt waren.«
    »Das hätte ich auch getan, wenn Sie nicht so sehr den Eindruck erweckt hätten, Ihrer Tochter Freiheit zu gewähren. Sie scheint mir ganz ihre eigene Herrin zu sein.«
    »Wörtlich genommen ist sie es auch. Aber sie hat sich doch, wie ich hoffe, moralisch noch nicht so weit emanzipiert, sich einen Ehemann zu wählen, ohne meinen Rat einzuholen. Ich habe ihr zwar Freiheit gelassen, aber gleichgültig war ich keineswegs. Tatsache ist, daß sich Ihre kleine Affäre mit einer Geschwindigkeit zugespitzt hat, die mich überrascht. Catherine hat ja erst neulich Ihre

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