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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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nachhing, stieß Catherine mit ziemlicher Heftigkeit hervor: »Warum bist du so widersprüchlich, Tante Penniman? Du scheinst einmal das eine zu denken und ein anderes Mal etwas anderes. Vor einem Jahr, bevor ich wegfuhr, wolltest du, ich sollte mich nicht darum bekümmern, ob ich Vater verärgere, und jetzt scheinst du mir ein anderes Verhalten zu empfehlen. |200| Du änderst immer wieder deine Meinung darüber.«
    Dieser Angriff kam unerwartet, da Mrs. Penniman bei einer Unterredung nicht gewohnt war, den Krieg in ihr eigenes Land getragen zu sehen – womöglich, weil der Feind für gewöhnlich bezweifeln mußte, daß dort eine Existenzgrundlage zu finden sei. Ihrem Bewußtsein nach waren die blumenreichen Gefilde ihres Verstandes nur selten von einer feindlichen Macht verwüstet worden. Vielleicht war das der Grund dafür, daß sie sich bei deren Verteidigung mehr majestätisch als gewandt verhielt.
    »Ich weiß gar nicht, was du mir vorwirfst, es sei denn, daß ich an deinem Glück zu sehr Anteil nehme. Es ist das erste Mal, daß mir gesagt wird, ich sei wechselhaft. Dieser Fehler wird mir im allgemeinen nicht vorgeworfen.«
    »Letztes Jahr warst du ungehalten, weil ich nicht auf der Stelle heiraten wollte, und jetzt sprichst du davon, ich solle meinen Vater für mich gewinnen. Du hast zu mir gesagt, es geschehe ihm ganz recht, wenn er mich um nichts und wieder nichts nach Europa mitnehme. Also, jetzt hat er mich um nichts und wieder nichts mitgenommen, und du solltest eigentlich befriedigt sein. Nichts hat sich geändert – nichts als mein Gefühl gegenüber Vater. Es macht mir jetzt auch nicht annähernd mehr so viel aus. Ich war so wohlerzogen, wie ich nur konnte, aber das ist ihm gleichgültig. Jetzt ist es auch mir gleichgültig. Ich weiß nicht, ob ich ungezogen geworden bin; vielleicht ja. Aber das ist mir auch gleichgültig. Ich bin nach Hause gekommen, um zu heiraten – das ist alles, was ich weiß. Eigentlich sollte dich das doch befriedigen, es sei denn, du bist wieder auf eine neue Idee verfallen; du bist so merkwürdig. Du kannst tun, was dir |201| gefällt, aber du darfst nie wieder zu mir sagen, ich solle mich mit meinem Vater auseinandersetzen. Ich werde mich nie mehr mit ihm auseinandersetzen; das ist ganz und gar vorbei. Er hat mich zurückgewiesen. Ich bin nach Hause gekommen, um zu heiraten.«
    So gebieterische Worte hatte sie noch niemals von den Lippen ihrer Nichte gehört, und Mrs. Penniman wurde dementsprechend aufgeschreckt. Sie war in der Tat fast vor Schreck gelähmt, und die Gewalt der Gefühlserregung und Entschlossenheit des Mädchens ließ sie keine Antwort finden. Sie war leicht zu verängstigen, und stets meisterte sie ihre Fassungslosigkeit durch ein Zugeständnis – ein Zugeständnis, das häufig, wie im gegenwärtigen Fall, von einem kleinen nervösen Lachen begleitet wurde.

|202| 26. KAPITEL
    Wenn sie ihrer Nichte die Stimmung verdorben hatte – von da ab begann sie sehr häufig von den Stimmungen ihrer Nichte zu sprechen, etwas, das bisher nie in Verbindung mit unserer Heldin erwähnt worden war –, so hatte Catherine am nächsten Tag Gelegenheit, ihre Gemütsruhe wiederzugewinnen. Mrs. Penniman hatte ihr eine Mitteilung von Morris Townsend ausgerichtet, die Catherine wissen ließ, daß er am Tag nach ihrer Ankunft kommen und sie in der Heimat willkommen heißen wolle. Er stellte sich am Nachmittag ein; doch wie sich denken läßt, stand ihm diesmal nicht Mr. Slopers Arbeitszimmer zur Verfügung. Er war im vergangenen Jahr so behaglich und unbekümmert ein- und ausgegangen, daß er sich in gewissem Sinn ungerecht behandelt fühlte, als ihm bedeutet wurde, daß er seinen Bereich auf den vorderen Salon, der Catherines spezielle Domäne war, einzuschränken habe.
    »Ich freue mich sehr, daß du wieder zurück bist«, sagte er; »es macht mich sehr glücklich, dich wiederzusehen.« Und er betrachtete sie lächelnd von Kopf bis Fuß, doch später hatte es den Anschein, daß er die Meinung von Mrs. Penniman (die nach Frauenart mehr auf Einzelheiten einging), sie sei hübscher geworden, nicht teilte.
    Er kam Catherine strahlend vor; es verstrich einige Zeit, bis sie es wieder fassen konnte, daß dieser wundervolle junge Mann ihr ausschließliches Eigentum sei. Es kam zu einem ausgiebigen richtigen Liebesgeplauder – |203| einem zärtlichen Austausch von Fragen und Zusicherungen. Für solche Angelegenheiten verfügte Morris über vollendeten Charme, der selbst dem Bericht von

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