Washington Square
er, während sie mit der Kerze in der Hand dastand.
»Meinst du mit Mr. Townsend?«
»Mit Mr. Townsend.«
»Wir werden wahrscheinlich heiraten.«
Der Doktor ging noch einige Male auf und ab, während sie wartete. »Hörst du noch so oft wie bisher von ihm?«
»Ja, zweimal im Monat«, sagte Catherine bereitwillig.
»Und schreibt er immer vom Heiraten?«
»O ja; das heißt, er schreibt auch von anderen Dingen; aber hiervon ist immer auch die Rede.«
»Ich bin erfreut zu hören, daß er mit seinen Themen abwechselt; seine Briefe könnten sonst eintönig werden.«
»Er schreibt wundervoll«, sagte Catherine, die sehr froh war über die Gelegenheit, das sagen zu können.
»Diese Menschen schreiben immer wundervoll. Wie auch immer, in einem gegebenen Fall mindert das den Wert nicht. Also sobald du ankommst, gehst du mit ihm auf und davon?«
Das schien eine reichlich grobe Art, es auszudrücken, und das, was Catherine an Würde besaß, nahm es übel. »Ich kann es dir vor der Ankunft nicht sagen«, entgegnete sie.
»Das ist sehr vernünftig«, erwiderte ihr Vater. »Es ist alles, worum ich dich bitten möchte – daß du es mir bestimmt sagst, daß du mir endgültig Bescheid gibst. Wenn ein armer Mann im Begriff ist, sein einziges Kind |192| zu verlieren, möchte er gern rechtzeitig einen Wink erhalten.«
»Oh, Vater, du verlierst mich doch nicht«, sagte Catherine und vergoß ihr Kerzenwachs.
»Drei Tage vorher reichen aus«, fuhr er fort, »wenn du in der Lage bist, dann ganz sicher zu sein. Er sollte mir sehr dankbar sein, weißt du. Ich habe ein gewaltig gutes Werk für ihn getan, indem ich dich ins Ausland mitgenommen habe. Dein Wert ist jetzt doppelt so groß durch all die Kenntnisse und den Geschmack, die du dir erworben hast. Vor einem Jahr war dein Horizont vielleicht noch ein wenig beschränkt – ein wenig hinterwäldlerisch; aber nun hast du alles gesehen und alles schätzengelernt und wirst eine höchst unterhaltsame Gefährtin sein. Wir haben das Schaf für ihn gemästet, bevor er es umbringt.« Catherine wandte sich ab und starrte auf die leere Tür. »Geh zu Bett«, sagte ihr Vater, »und da wir nicht vor Mittag an Bord gehen, kannst du lange schlafen. Wir werden wahrscheinlich eine höchst unbehagliche Reise haben.«
|193| 25. KAPITEL
Die Reise war in der Tat unbehaglich, und Catherine konnte zur Entschädigung dafür bei ihrer Ankunft in New York nicht, nach der Wendung ihres Vaters, mit Morris Townsend »auf und davon gehen«. Sie traf ihn jedoch am Tag nach ihrer Landung; und in der Zwischenzeit bildete er natürlicherweise den Gesprächsgegenstand zwischen unserer Heldin und ihrer Tante Lavinia, mit der sich das Mädchen noch am Abend ihrer Ankunft beträchtliche Zeit zurückzog, bevor sich die Damen zur Ruhe begaben.
»Ich war sehr häufig mit ihm zusammen«, sagte Mrs. Penniman. »Es ist nicht ganz einfach, ihn genau kennenzulernen. Du glaubst vermutlich, ihn zu kennen; aber du kennst ihn nicht, meine Liebe. Eines Tages wirst du ihn genau kennen; aber das wird erst sein, wenn du mit ihm zusammen gelebt hast. Ich kann vielleicht beinahe sagen, ich habe mit ihm zusammengelebt«, fuhr Mrs. Penniman fort, während Catherine große Augen machte. »Ich glaube, jetzt kenne ich ihn; ich habe so ausgezeichnete Gelegenheiten dazu gehabt. Du wirst dieselben haben – oder vielmehr noch bessere«, und Tante Lavinia lächelte. »Dann wirst du verstehen, was ich meine. Er ist eine wundervolle Persönlichkeit, voller Leidenschaft und Energie, und ebenso getreu.«
Catherine hörte mit einer Mischung aus Interesse und Besorgnis zu. Tante Lavinia war außerordentlich teilnahmsvoll, und Catherine hatte sich das vergangene Jahr |194| über oft nach der Gesellschaft einer intelligenten Person ihres eigenen Geschlechts gesehnt, während sie durch ausländische Museen und Kirchen pilgerte und über abgenutzte Poststraßen rollte und unterdessen Gedanken nachhing, die ihr niemals über die Lippen kamen. Ihre Geschichte irgendeiner gütigen Frau zu erzählen – das, so schien es ihr zeitweise, könnte sie trösten, und mehr als einmal war sie nahe daran gewesen, die Hauswirtin oder die nette junge Person von der Damenschneiderei ins Vertrauen zu ziehen. Hätte sie eine Vertraute gehabt, so würde sie eine solche Gefährtin bei gewissen Anlässen mit einem Weinkrampf bedacht haben; und sie hatte die Befürchtung gehabt, daß dies bei ihrer Rückkehr ihre Reaktion auf Tante Lavinias erste Umarmung sein
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