Washington Square
seinen Anfängen im Kommissionsgeschäft lebhaften Reiz verlieh – einem Thema, über das ihn seine Gesprächspartnerin eifrig ausfragte. Von Zeit zu Zeit erhob er sich vom Sofa, auf dem sie gemeinsam saßen, und spazierte im Zimmer umher; darauf kam er zurück, indem er lächelte und sich mit der Hand durchs Haar strich. Er war unruhig, wie das nur natürlich war bei einem jungen Mann, der eben erst wieder mit seiner lange abwesenden Geliebten zusammen war, und Catherine kam es vor, daß sie ihn noch nie so erregt gesehen habe. Irgendwie machte es ihr Freude, diese Tatsache festzustellen. Er stellte ihr Fragen über ihre Reise, von denen sie einige nicht beantworten konnte, da sie die Namen von Orten und die Reiseroute ihres Vaters vergessen hatte. Aber im Augenblick war sie so glücklich, so hochgemut in der Meinung, ihre Schwierigkeiten seien nun endlich vorüber, daß sie ganz vergaß, sich über ihre kargen Antworten zu schämen. Sie hatte nunmehr den Eindruck, sie könne ihn ohne eine Spur von Skrupel und ohne das geringste Erbeben heiraten, es sei denn das der Freude. Ohne abzuwarten, bis er sie danach frage, erzählte sie ihm, daß ihr Vater genau mit derselben Einstellung zurückgekehrt sei – daß er nicht um eine Handbreit nachgegeben habe.
»Wir brauchen jetzt nicht mehr auf seine Zustimmung zu warten«, sagte sie, »wir müssen ohne sie handeln.«
Morris saß da, sah sie an und lächelte. »Mein armes, liebes Mädchen!« rief er aus.
»Du brauchst mich nicht zu bemitleiden«, sagte Catherine. » |204| Es kümmert mich jetzt nicht mehr; ich habe mich daran gewöhnt.«
Morris lächelte weiterhin; dann stand er auf und spazierte aufs neue im Zimmer umher. »Es wäre besser, du würdest es mich bei ihm versuchen lassen.«
»Versuchen, ihn umzustimmen? Du würdest es nur noch schlimmer machen«, erwiderte Catherine entschieden.
»Das sagst du, weil ich es früher so verkehrt angepackt habe. Aber jetzt würde ich es anders anpacken. Inzwischen bin ich klüger geworden; ich habe ein Jahr lang Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Ich habe mehr Fingerspitzengefühl.«
»Hast du darüber ein Jahr lang nachgedacht?«
»Ziemlich viel davon. Siehst du, die Sache liegt mir im Magen. Ich gebe mich nicht gern geschlagen.«
»Wieso fühlst du dich denn geschlagen, wenn wir heiraten?«
»Natürlich fühle ich mich im entscheidenden Punkt nicht geschlagen; aber, begreifst du denn das nicht, ich muß es in jeder anderen Beziehung sein – was meinen guten Ruf betrifft, mein Verhältnis zu deinem Vater, meine Beziehungen zu meinen eigenen Kindern, wenn wir welche bekommen sollten.«
»Für unsere Kinder werden wir genug haben; wir werden für alles genug haben. Rechnest du denn nicht damit, daß du mit deinem Geschäft Erfolg hast?«
»Glänzend sogar, wir werden in sehr guten Verhältnissen leben. Aber ich spreche nicht allein vom materiellen Wohlbehagen; ich rede vom moralischen Wohlbehagen«, sagte Morris, »von der geistigen Zufriedenheit.«
»Ich bin jetzt moralisch sehr befriedigt«, erklärte Catherine ganz einfach.
|205| »Gewiß. Doch bei mir ist es anders. Ich habe meinen ganzen Stolz dareingesetzt, deinem Vater zu beweisen, daß er sich irrt, und jetzt, wo ich an der Spitze eines florierenden Unternehmens stehe, kann ich als Gleichgestellter mit ihm verhandeln. Ich habe einen glänzenden Plan – laß es mich doch mit ihm aufnehmen!«
Mit seinem strahlenden Gesicht, seiner sorglosen Miene stand er vor ihr, die Hände in den Taschen; sie erhob sich, ihre Augen auf die seinen geheftet. »Bitte tu’ das nicht, Morris; tu’s nicht«, sagte sie; und in ihrem Tonfall lag eine gewisse sanfte, trostlose Entschlossenheit, die er zum ersten Mal vernahm. »Wir dürfen keinerlei Entgegenkommen von ihm erwarten – wir dürfen überhaupt nichts mehr erwarten. Er läßt sich nicht erweichen, und es wird nichts Gutes dabei herauskommen. Ich weiß es jetzt – und ich habe einen sehr guten Grund dafür.«
»Und was, bitte, ist denn dein Grund?«
Sie zauderte, ihn auszusprechen, aber schließlich kam es doch dazu. »Er hat mich nicht sehr lieb.«
»Oh, verdammt!« rief Morris entrüstet.
»Ich würde so etwas nicht sagen, wenn ich mir nicht sicher wäre. Ich habe es in England, unmittelbar vor der Abreise, herausgefunden, ich habe es gefühlt. Er sprach eines Abends mit mir – am letzten Abend – und daraufhin hat mich dieses Gefühl überkommen. Man kann erkennen, wenn jemand so fühlt. Ich würde ihn
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