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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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Auslandsreise vor ihrer Tante ausbreitete. Es war eine Fülle an Kostbarem; und Catherine hatte jedem ein Geschenk mitgebracht – jedem außer Morris, dem sie nichts anderes als ihr unverändert treues Herz mitgebracht hatte. Mrs. Penniman gegenüber war sie verschwenderisch freigebig gewesen, und Tante Lavinia verbrachte eine halbe Stunde unter kleinen Ausrufen der Dankbarkeit und des Gefallens mit Auspacken und Wiedereinpacken. Eine Weile stieg sie mit einem prächtigen Kaschmirschal umher, den sie auf Bitten Catherines als Geschenk annahm, legte ihn über die Schultern und verdrehte den Kopf, um zu sehen, wie weit das Ende hinten hinabreichte.
    »Ich betrachte ihn nur als Leihgabe«, sagte sie. »Wenn ich sterbe, werde ich ihn dir hinterlassen; oder vielmehr«, fügte sie hinzu und küßte ihre Nichte noch einmal, »ich vermache ihn deinem erstgeborenen Töchterchen.« Und mit ihrem Schal drapiert stand sie lächelnd da.
    »Warte lieber ab, bis es da ist«, sagte Catherine.
    »Mir gefällt es gar nicht, wie du das sagst«, entgegnete Mrs. Penniman unverzüglich. »Catherine, hast du dich verändert?«
    »Nein, ich bin noch dieselbe.«
    »Du bist nicht eine Handbreit abgewichen?«
    »Ich bin noch genau dieselbe«, wiederholte Catherine und wünschte, ihre Tante wäre ein bißchen weniger teilnehmend.
    »Nun, das freut mich«, und Mrs. Penniman betrachtete ihren Kaschmirschal im Spiegel. Gleich darauf fragte sie dann, indem sie den Blick auf ihre Nichte richtete: »Wie steht es mit deinem Vater? Deine Briefe waren so mager – ich konnte es nie daraus erkennen.«
    »Vater geht es sehr gut.«
    |198| »Ach, du weißt recht gut, was ich meine«, sagte Mrs. Penniman mit einer Würde, der ihr Kaschmirschal noch größere Wirkung verlieh. »Ist er immer noch unnachgiebig?«
    »O ja!«
    »Völlig unnachgiebig?«
    »Er ist, wenn möglich, noch hartnäckiger.«
    Mrs. Penniman nahm ihren imposanten Schal ab und legte ihn gemessen zusammen. »Das ist sehr ärgerlich. Mit deinem kleinen Plan hast du demnach keinen Erfolg gehabt?«
    »Mit welchem kleinen Plan?«
    »Morris hat mir alles darüber erzählt. Die Idee, in Europa den Spieß gegen ihn umzukehren; darauf zu achten, wann er von irgendeiner berühmten Sehenswürdigkeit angenehm beeindruckt ist – du weißt ja, er behauptet doch, so künstlerisch interessiert zu sein – und genau dann sich noch einmal mit ihm auseinanderzusetzen und ihn herumzukriegen.«
    »Ich habe das nie versucht. Es war ein Einfall von Morris; aber wenn er mit uns in Europa gewesen wäre, hätte er gesehen, daß Vater niemals in dieser Art beeindruckt war. Er
ist
künstlerisch interessiert – ungeheuer künstlerisch interessiert; doch je mehr berühmte Stätten wir besuchten und je mehr er sie bewunderte, um so weniger Sinn hätte es gehabt, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Sie schienen ihn nur noch hartnäckiger zu machen – noch schrecklicher«, sagte die arme Catherine. »Ich werde ihn nie umstimmen, und ich erwarte jetzt nichts mehr.«
    »Nun, ich muß schon sagen«, entgegnete Mrs. Penniman, »ich hätte nie geglaubt, daß du es aufgeben würdest.«
    |199| »Ich habe es aufgegeben. Es ist mir jetzt gleichgültig.«
    »Du bist sehr mutig geworden«, sagte Mrs. Penniman auflachend. »Ich habe dir nicht geraten, dein Vermögen zu opfern.«
    »Ja, ich bin mutiger als früher. Du hast mich gefragt, ob ich mich verändert habe; in dieser Hinsicht habe ich mich verändert. Oh«, fuhr das Mädchen fort, »ich habe mich sehr verändert. Und es ist ja nicht mein Vermögen. Wenn
er
nicht daran interessiert ist, warum sollte ich es dann sein?«
    Mrs. Penniman zögerte. »Vielleicht ist er doch daran interessiert.«
    »Er ist um meinetwillen daran interessiert, weil er mir keinen Schaden verursachen will. Aber er wird sehen – er weiß es bereits – wie wenig er deswegen besorgt sein muß. Überdies«, sagte Catherine, »habe ich ja genug eigenes Geld. Wir werden in guten Verhältnissen sein. Und hat er denn jetzt nicht sein Geschäft? Ich bin ja so froh über dieses Geschäft.« Sie sprach weiter und verriet dabei beträchtliche Erregung. Ihre Tante hatte sie noch nie derartig gesehen, und Mrs. Penniman schrieb ihre Beobachtung der Auslandsreise zu, die das Mädchen entschiedener und reifer gemacht hatte. Sie fand auch, Catherines Erscheinung sei vorteilhafter geworden; sie sah beinahe hübsch aus. Mrs. Penniman fragte sich, ob es wohl Morris Townsend auffallen werde. Während sie dieser Überlegung

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