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Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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würde. Doch in Wirklichkeit waren sich die beiden Damen am Washington Square ohne Tränen begegnet; und als sie sich ganz unter sich befanden, kam es zu einer gewissen Ernüchterung von Catherines Gefühlserregung. Ihr ging es nun weit nachdrücklicher auf, daß Mrs. Penniman ein ganzes Jahr über die Gesellschaft ihres Liebhabers genossen hatte, und es war nicht erfreulich für sie, mit anhören zu müssen, wie ihre Tante sich den jungen Mann erklärte und deutete und über ihn sprach, als sei ihre Kenntnis von ihm unübertrefflich. Nicht etwa, daß Catherine eifersüchtig gewesen wäre; aber ihre Empfindung von Mrs. Pennimans einfältiger Falschheit, die eine Zeitlang geschlummert hatte, begann sie wieder zu beunruhigen, und sie war froh, daß sie wieder wohlbehalten daheim war. Aber trotzdem bedeutete es für sie eine wahre Wohltat, über Morris reden zu können, seinen Namen auszusprechen, mit einem Menschen zusammenzusein, der ihm gegenüber nicht ungerecht war.
    »Du warst sehr freundlich zu ihm«, sagte Catherine. |195| »Er hat mir das wiederholt geschrieben. Ich werde dir das nie vergessen, Tante Lavinia.«
    »Ich habe getan, was ich konnte; es war nur sehr wenig. Ihn zu empfangen und sich mit mir unterhalten zu lassen und ihm eine Tasse Tee anzubieten – das war schon alles. Deine Tante Almond fand, das sei zuviel, und pflegte mich fürchterlich zu schelten; aber sie versprach mir zumindest, mich nicht zu verraten.«
    »Dich nicht zu verraten?«
    »Es nicht deinem Vater zu sagen. Morris pflegte nämlich im Arbeitszimmer deines Vaters zu sitzen«, sagte Mrs. Penniman und lachte ein wenig.
    Catherine schwieg einen Augenblick. Diese Vorstellung war ihr unangenehm, und sie wurde wieder peinlich an die Neigung ihrer Tante zu Heimlichkeiten erinnert. Dem Leser sei es nicht vorenthalten, daß Morris so viel Takt gehabt hatte, ihr nichts davon zu sagen, daß er im Arbeitszimmer ihres Vaters gesessen habe. Er kannte sie erst wenige Monate, während ihre Tante sie bereits fünfzehn Jahre lang kannte; und doch würde er nie den Fehler gemacht haben, anzunehmen, Catherine würde das Komische an der Sache aufgehen. »Ich bedauere, daß du ihn veranlaßt hast, in Vaters Zimmer zu gehen«, sagte sie nach einer Weile.
    »Ich habe ihn nicht dazu aufgefordert; er ist von sich aus hineingegangen. Er wollte sich gern die Bücher und all diese Sachen in den Glaskästen ansehen. Er kennt sich genau damit aus; er kennt sich überhaupt in allen Dingen aus.«
    Catherine schwieg wieder; dann sagte sie: »Ich wollte, er hätte eine Beschäftigung gefunden.«
    »Er hat ja eine Beschäftigung gefunden. Es ist eine wundervolle Neuigkeit, und er hat mich gebeten, sie dir |196| gleich bei deiner Ankunft mitzuteilen. Er ist eine Partnerschaft mit einem Kommissionskaufmann eingegangen. Vor einer Woche wurde ganz plötzlich alles abgemacht.«
    Das schien Catherine in der Tat eine wundervolle Neuigkeit zu sein; sie hatte so einen feinen Hauch von Erfolgverheißendem an sich. »Oh, ich bin so froh!« sagte sie; und jetzt war sie einen Moment versucht, sich Tante Lavinia an den Hals zu werfen.
    »Es ist viel besser, als jemandem zu unterstehen; daran ist er ja gar nicht gewöhnt«, fuhr Mrs. Penniman fort. »Er ist so gut wie sein Teilhaber – sie sind vollkommen gleichberechtigt. Du siehst, wie recht er damit hatte, abzuwarten. Ich möchte wissen, was dein Vater jetzt noch sagen kann! Sie haben ein Kontor in der Duane Street und gedruckte Firmenkärtchen; er hat eines mitgebracht, um es mir zu zeigen. Ich habe es in meinem Zimmer, und morgen sollst du es sehen. Als er zum letzten Mal hier war, da sagte er zu mir: ›Sie sehen, wie recht ich damit hatte, abzuwarten.‹ Er hat andere Leute unter sich, statt selbst ein Untergebener zu sein. Er könnte nie ein Untergebener sein; ich habe ihm oft gesagt, daß ich ihn mir nie so vorstellen könnte.«
    Catherine stimmte dieser Feststellung zu und war sehr glücklich darüber, zu wissen, daß Morris sein eigener Herr war; doch die Genugtuung, daran zu glauben, daß sie diese Neuigkeit im Triumph ihrem Vater mitteilen könne, war ihr versagt. Ihrem Vater wäre es genauso gleichgültig, ob sich Morris im Geschäftsleben einrichtete oder ob er lebenslänglich deportiert würde. Ihre Koffer waren ins Zimmer gebracht worden, und für eine kleine Weile wurden alle weiteren Ausführungen über ihren Liebhaber eingestellt, während sie das Gepäck öffnete |197| und einiges von der Ausbeute der

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