Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
ich.
»Was ist?«, fragt Greg, der ihr den Rüssel streichelt.
»Sie versteht dich.«
»Ja, und?«
»Was meinst du mit ›ja, und‹? Mein Gott, hast du eine Ahnung, was
das heißt?«
»Jetzt mal schön langsam«, sagt Greg, als ich auf Rosie zugehe. Er
drängt sich mit grimmiger Miene zwischen uns.
»Lass mich mal«, sage ich. »Bitte. Ich will ihr nun wirklich ganz
bestimmt nicht wehtun.«
Er lässt mich nicht aus den Augen. Ich bin nicht ganz sicher, ob er
mir nicht hinterrücks eins überbrät, aber ich wende mich trotzdem Rosie zu. Sie
blinzelt mich an.
»Rosie, noge˛! «, sage ich.
Sie blinzelt erneut und öffnet das Maul zu einem Lächeln.
» Noge˛ , Rosie!«
Sie wedelt mit den Ohren und seufzt.
» Prosze˛ ?«
Wieder seufzt sie. Dann verlagert sie das Gewicht und hebt den Fuß
an.
»Heilige Mutter Gottes.« Ich höre meine Stimme, als stünde ich
außerhalb meines Körpers. Mein Herz hämmert, alles dreht sich. »Rosie«, sage
ich und lege ihr eine Hand auf die Schulter. »Nur eines noch.« Ich blicke ihr
direkt in die Augen, ich flehe sie an. Sicher weiß sie, wie wichtig das ist.
Bitte, Gott, bitte, bitte …
» Do ty ł u, Rosie! Do ty ł u !«
Wieder seufzt sie, wieder verlagert sie das Gewicht, dann geht sie
ein paar Schritte zurück.
Mit einem Freudenschrei drehe ich mich zum völlig überraschten Greg
um. Ich springe vor, packe ihn bei den Schultern und drücke ihm einen Kuss auf
den Mund.
»Zum Teufel auch!«
Ich laufe Richtung Ausgang. Nach fünf Metern bleibe ich stehen und
drehe mich um. Greg spuckt aus und wischt sich angewidert den Mund ab.
Als ich allerdings die Flaschen hervorhole, wirkt er plötzlich
interessiert, auch wenn er sich den Handrücken noch immer auf den Mund presst.
»Hier, fang auf!«, rufe ich und werfe ihm eine Flasche zu. Er
schnappt sie, sieht sich das Etikett an und beäugt hoffnungsvoll die andere.
Ich werfe ihm auch die zweite zu.
»Gib die unserem neuen Star, in Ordnung?«
Greg legt nachdenklich den Kopf schief und dreht sich zu Rosie um,
die bereits lächelnd nach den Flaschen greift.
Während der nächsten zehn Tage spiele ich Augusts
höchstpersönlichen Polnischlehrer. In jeder Stadt lässt er auf dem hinteren
Teil des Platzes eine Probemanege aufbauen, und jeden Tag arbeiten wir –
August, Marlena, Rosie und ich – in der Zeit zwischen unserer Ankunft in der
Stadt und dem Beginn der Matinee an Rosies Nummer. Obwohl sie bereits am
täglichen Umzug und der Parade teilnimmt, hat sie ihren Auftritt während der Vorstellung
noch vor sich. Das Warten bringt Onkel Al zwar fast um, aber August möchte
nichts über die Nummer verraten, bevor sie perfekt ist.
An diesen Tagen sitze ich auf einem Stuhl direkt neben der Piste, in
einer Hand ein Messer und einen Eimer zwischen den Knien, schneide Obst und
Gemüse für die Primaten klein und rufe August bei Bedarf polnische Befehle zu.
Sein Akzent ist schauderhaft, aber Rosie gehorcht tadellos – vielleicht, weil August
meist etwas wiederholt, das ich gerade gerufen habe. Er hat sie nicht mehr mit
dem Elefantenhaken angerührt, seit wir das Sprachproblem entdeckt haben. Er
geht nur neben ihr her und schwenkt ihn unter ihrem Bauch und zwischen ihren Beinen,
aber niemals, kein einziges Mal, berührt er sie damit.
Es fällt schwer, diesen August mit dem anderen in Einklang zu
bringen, und ehrlich gesagt gebe ich mir keine große Mühe. Diesen August –
heiter, umgänglich, großzügig – habe ich schon kennengelernt, aber ich weiß,
wozu er fähig ist, und das vergesse ich nicht. Die anderen können denken, was
sie wollen, aber ich glaube keinen Moment lang, dass dies der wahre August ist
und der andere die Ausnahme. Aber ich kann nachvollziehen, warum sie sich
täuschen lassen …
Er ist reizend. Er ist überaus charmant. Er strahlt wie der helle
Sonnenschein. Er überschüttet das riesige, wolkengraue Tier und seine zierliche
Reiterin mit Aufmerksamkeit – von unserem Treffen morgens bis zum Umzug am
Nachmittag. Marlena gegenüber ist er aufmerksam und zärtlich, freundlich und
väterlich zu Rosie.
Trotz meiner Zurückhaltung scheint ihm nicht bewusst zu sein, dass
es jemals böses Blut zwischen uns gab. Er strahlt mich an; er klopft mir auf
die Schulter. Ihm fällt auf, dass meine Kleidung schäbig aussieht, und am
gleichen Nachmittag bringt der Montagsmann mir neue. Er verkündet, der Tierarzt
der Show solle sich nicht mit kaltem Wasser aus Eimern waschen müssen, und lädt
mich ein, im
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