Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
Aperitifs, in eine imaginäre Ordnung. Er hatte das beklemmende Gefühl, daß sie das Interesse schon wieder verloren hatte. Als ob sie – das Licht ausgeknipst hätte, das innere Licht, das sie früher so warm und lebendig hatte wirken lassen.

8
    Klein-Roda in der Rhön
     
    Paul sah und fühlte und roch, wie das Unheil sich zusammenbraute. Der Himmel sah geschunden aus, am südwestlichen Horizont bildeten sich schmutzigbraune Wirbel, von dort ertönte ein unentschlossenes Grollen. Er stand vor der Haustür, einen Becher Tee in der Hand, den Geruch von kaltem Holzfeuer in der Nase, und sah der Stille vor dem Sturm zu. Die Meisen, Finken und Spatzen hatten sich verkrochen, nur die Mauersegler fegten noch zwischen den Häusern hindurch. Zwei Katzen schnürten mit eingezogenem Schwanz und gesenktem Haupt ganz dicht an der Hauswand entlang, und selbst Gottfrieds Zwerghühner gaben ausnahmsweise mal Ruhe. Er spürte, wie sein Haar knisterte und sich aufstellte. Dann fuhr der erste Windstoß in die Kronen der Bäume und versuchte, Bremers Hochstammrosen flachzulegen.
    Er schloß die Haustür und ging nach oben, in sein Arbeitszimmer, von dem aus man zusehen konnte, wie die schwarze Wetterwand heranraste. Blitze verzweigten sich auf dem dunklen Himmel, das scharfe Licht ließ die Umrisse des Dorfs aschweiß erscheinen – wie eine Stummfilmkulisse. Auf die Blitze folgte in immer kürzeren Abständen das scharfe, trockene Reißen und Peitschenknallen des Donners. Das Gewitter rollte heran, Regenwände rasten auf das Dorf zu, barsten und prasselten auf die dampfende Straße. Nach einer halben Stunde war der Sturm über sein Haus hinweggetobt und drehte nach Nordosten ab. Paul sah den nassen Asphalt glänzen. Hörte das triumphierende Regenlied der Amseln. Und lief nach unten, um in die Gummistiefel und die Windjacke zu steigen und draußen die frische feuchte Luft einzuatmen.
    Als er vor die Haustür trat, grollte es nur noch von Ferne. Von Südwesten her wurde es heller. Bremer schlurfte über das vom Regen blankgeputzte Pflaster zum Gartentor. Aus der Zisterne vor dem Haus murmelte und gurgelte es. Die grüne Gartenpumpe glänzte in der Nässe. Gelbbraun schäumendes Wasser strömte den Rinnstein entlang zum nächsten Gully und stürzte sich hinein. Wie Schiffchen auf dem offenen Meer tanzten kleine, silbrig glänzende Tüten auf den Bächen am Straßenrand: Zigarettenschachtelüberzieher. Was sonst.
    Er ging den Friedhofsweg hoch auf Gottfrieds Hof zu, dem immer breiter werdenden hellen Streifen am Horizont entgegen. Rechts lag Erwins Haus, umgeben vom gepflegtesten Rasen weit und breit. Aus dem Fenster im ersten Stock flackerte das Licht vom Großbildfernseher, auf den Erwin mindestens so stolz war wie auf den Minitraktor, den Marianne irgendwann einmal zur allgemeinen Erheiterung seinen »begehbaren Rasenmäher« genannt hatte. Auf der Straße vor Erwins Rancherzaun, dort, wo ein rachitischer Rosenstrauch vergeblich gegen Blattläuse und Mehltau kämpfte, lag etwas, was dort nicht hingehörte. Ein schmutzig-weißes, nasses Bündel. Als er näherkam, erkannte er Gefieder. Einen roten Schnabel. Blaßgelbe Stelzen mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen. Paul drehte das Tier mit der Stiefelspitze um. Er sah und roch versengte Federn.
    Die Amsel sang lauter. Und um die Ecke schoß der Bernhardiner von Bauer Müller, bremste schweifwedelnd vor Paul und legte ihm ein weiteres schmutzig-weißes Bündel vor die Füße. »Brav, Bello, brav«, sagte er und hoffte, das erwartungsvoll zu ihm aufschauende Tier würde nicht etwa auf die Idee kommen, ihm die riesigen nassen Pfoten auf die Schultern zu legen.
    Dann rollte er die zweite Gans mit der Schuhspitze neben die erste. Zwei auf einen Streich. Er blickte nach oben zum Himmel, der jetzt von einem müden Hellblau war. »Erlaubst du dir einen Scherz, alter Knabe?« murmelte er.
    »Es geschehen Zeichen und Wunder!« Gottfried war aus seinem Hoftor getreten und kam über die Straße. In der linken Hand hielt er, an den Stelzen gefaßt, eine dritte tote Gans.
    »Weißwangengänse.« Er legte sie neben die beiden anderen. »Schade um die schönen Tiere.«
    »Blitzschlag?«
    »Sieht so aus.«
    Bello umtänzelte sein Herrchen und wuffte. Bauer Müller war kopfschüttelnd aus dem Haus getreten. Auch Erwin, den das Spektakel da draußen vom Fernseher geholt und der sich neugierig aus dem Fenster gelehnt hatte, kam hinunter. »Bei mir im Hof liegen zwei.« Er zündete sich eine Zigarette

Weitere Kostenlose Bücher