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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Übelkeit.
    Sie hatte seither nie wieder in seinen Armen gelegen.

12
    »Hier bin ich mal fürchterlich auf die Fresse gefallen«, sagte Bremer mit Stolz in der Stimme und hielt fürsorglich die Hand unter Karens Ellenbogen.
    »Ich denke nicht daran, es dir nachzumachen.« Das krumme Gäßchen war abschüssig und mit glänzenden Katzenköpfen gepflastert. Heute verstand sie, warum nicht alle Menschen dieses Pflaster romantisch fanden.
    »Hier mußte ich immer die Milch holen.« Den Milchmann gab es wahrscheinlich schon lange nicht mehr. Sie standen vor einem Souvenirladen.
    »Erbarmen!« Paul deutete auf eine rustikale Holzscheibe mit eingebranntem Spruch: »›Schone Deine Frau, geh öfter’s fremd‹ …«
    »Rudolf’s Friseurlädchen«, sagte Karen und zeigte mit der Krücke auf das Ladenschild zwei Häuser weiter. »Laß uns einen Verein gegen die mißbräuchliche Weiterverbreitung des sächsischen Genitivs gründen.«
    »Der frauenfeindliche Charakter dieses Spruchs stört dich wohl weniger?«
    »Phhh«, machte Karen. Sie fand die geschnitzten Holzfiguren, die Lämpchen aus Weingläsern und Körbe mit gläsernen Trauben, die reich verzierten Bowlengefäße und handgearbeiteten Rebholzleuchter auch nicht geschmackvoller.
    Zwischen dem üblichen Kitsch standen leicht angestaubte Flaschen mit Etiketten, wie man sie in den siebziger Jahren liebte: Pergamentimitation mit altdeutscher Schrift vor Flußlandschaft mit Burgen. »Beerenauslese und Eiswein – aufrecht stehend im Fenster?« Paul schüttelte sich. »Unglaublich. Und das gibt’s auch noch?« Er zeigte auf eine Flasche, auf deren Etikett der Name »Schepp« stand.
    »Jahrgang 1982«, sagte Karen.
    »Wahnsinn! Die gehört ins Museum!« Paul schüttelte sich wieder. »Als Beispiel für eine typische 80er-Jahre-Cuvée aus Zucker, Glykol und Traubensaft …« Sie gingen weiter. Im früheren Bäckerladen wurden heute Computer verkauft.
    »Und hier habe ich Evchen geküßt. Einmal.« Paul machte ein verträumtes Gesicht. »Für mich war es das erste Mal. Für sie – keine Ahnung.«
    Karen fluchte leise, als sie mit der Krücke in eine Ritze zwischen zwei Pflastersteinen rutschte. Fast hätte sie das Gleichgewicht verloren.
    »Hier war der Klingelberger. Meine Lieblingskneipe.« Paul klang richtig traurig. Sie standen vor einem heruntergekommenen Haus, an dessen lange nicht mehr geputztem Schaufenster mit Klebebuchstaben »LADY  ITNESS. NUR  R D  DAME« stand. Darunter lagen ein Expander, zwei blaue 5 kg-Hanteln und drei große runde Schachteln, »Power Formula« stand auf den von der Sonne ausgeblichenen Etiketten. Karen sah bei diesem Anblick selbstkritisch an sich herunter und hoffte auf einen Trainingseffekt durch verschärftes Krückengehen unter erschwerten Bedingungen. Sie wollte nicht wissen, wieviel sie derzeit auf die Waage brachte.
    Vor Wallensteins Haus parkte ein ehemals weißer R4. Als sie klingelten, schlug innen der Hund an.

13
    Es amüsierte Hannes Janz, wie verklärt der alte Wallenstein guckte, als die große Rothaarige auf ihren Krücken ins Zimmer geschwebt kam. Wahrscheinlich kalkulierte er auf künftige Schwiegertochter. Wenn er sich da mal nicht täuschte. Sie war mindestens zwei Kopf größer als Wallensteins Pflegesohn. Und das spielte bei Männern nun mal eine Rolle.
    Alle Väter hätten gerne Schwiegertöchter. Janz seufzte. Er auch. Aber Peter war noch nicht einmal neunzehn gewesen, als seine Freunde ihn dazu überredeten, es einmal mit etwas anderem zu probieren als mit Wein. »Ecstasy« nannte sich der Stoff, dessen Reste man in seinem Blut fand, als er sich eines Morgens nach der Disco an einem Alleebaum zu Tode gefahren hatte.
    Janz kraulte Zigeuner unter dem Kinn, das der Hund ihm aufs Knie gelegt hatte. Paul hätte sich ruhig mal ein bißchen früher blicken lassen können. Der alte Herr hatte, seit er im Rollstuhl saß, nicht viel Abwechslung. Seine und Agatas Gesellschaft zählten nicht. Janz lehnte sich zurück in seinen Sessel. Er war nun mal kein großer Unterhalter. Am liebsten war er mit dem Alten allein. Ein Weinchen trinken und einträchtig schweigen – das konnte man mit Wallenstein ganz wunderbar.
    »Wenigstens auf den Wein sollte man sich in diesem Land was einbilden dürfen«, sagte Paul. »Trotz Skandalen und Skandälchen. Oder gibt es sie etwa nicht, die große deutsche Weintradition?«
    Wallenstein wiegte das weise Haupt. Janz wußte, was er sagen würde. Er sagte es immer. »Für die Deutschen ist

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