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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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seit den zwölf Jahren unter Adolf Hitler der Weg zur Vergangenheit abgeschnitten. Das gilt auch für den Wein.«
    Und wir selbst, dachte Janz, haben das unsere dazu getan, daß sich eine neue große Tradition gar nicht erst entfalten konnte. Vielleicht sind wir das einzige weinproduzierende Land, dessen Bewohner von Wein nichts mehr verstehen. Wir haben es ihnen abgewöhnt, den guten vom schlechten zu unterscheiden.
    »Erzähl mal die Geschichte mit dem Ruländer, Hannes!« sagte Wallenstein. Heute mußte er offenbar mitreden, ob er wollte oder nicht.
    »Na ja.« Janz setzte sich auf und stützte sich mit den Händen auf die Knie. »Also das war so: Kommt ein junges Paar zur Weinprobe, guckt sich die Liste an. Fragt die Frau: ›Haben Sie auch Pinot Grigio?‹«
    Er erinnerte sich gut. Sie war ein ganz junges Ding gewesen, gut gekleidet und hochdeutsch schwätzend.
    »Sag ich: ›Ruländer? Na klar!‹ Guckt sie mich an und sagt: ›Nein, ich meine Pinot Grigio!‹«
    Richtig beleidigt war die Kleine gewesen.
    Janz grinste. »Sag ich: ›Sie meinen Grauburgunder? Den haben wir selbstverständlich auch!‹«
    Alles lachte. Auch die Rothaarige, der Janz zutraute, daß sie im Grunde auch zur Toscanafraktion gehörte – zu jenen aufgeschlossenen Menschen, die literweise Pinot Grigio in sich hineinschütteten und bei Ruländer oder Grauburgunder das Gesicht verzogen. Dabei waren das nur andere Namen für die gleiche Sache.
    »Deutscher Wein ist nicht gerade en vogue. Da können Kritiker stundenlang vom neuen deutschen Weinwunder reden.« Paul prostete ihm zu. »Dein Wein ist Spitze, Hannes. Du holst das Beste raus aus Wallensteins Weinbergen!«
    Freut mich zu hören, dachte Janz und prostete zurück.
    Er drückte sich tiefer in seinen Sessel und versuchte, sich unsichtbar zu machen. Das war ihm das liebste, wenn er zugucken und dabei seinen eigenen Gedanken nachhängen konnte. Janz studierte die beiden vertrauten Gesichter von Paul und Wallenstein, das eine älter geworden, aber immer noch glatt, mit braunen, gelbgefleckten Augen unter kurzem weißen Haar. Das andere verwittert, eingefallen fast; die eingesunkenen Augen in Wallensteins Gesicht wurden immer größer, und die Nase ragte immer spitzer aus seinem Gesicht. Liebevoll schaute Janz den Alten an. Die gerade Nase könnte er seinem Sohn vererbt haben, dachte er – und schlug sich dann im Geist an die Stirn. Die beiden waren ja gar nicht verwandt. Pauls Mutter war früh gestorben. Der Junge mußte damals so alt gewesen sein wie Peter, als dem die Mutter – nun ja: abhanden gekommen war. Janz bekreuzigte sich, ohne daß er es merkte. Er bekreuzigte sich immer, wenn er an Evamaria dachte. Du hättest mich nicht verlassen dürfen, dachte er. Wir hätten das doch gemeinsam überstanden. Wir hätten alles gemeistert – zusammen.
    Janz leerte sein Glas. Die anderen hatten noch.
    »Wie auch immer es ausgeht: Alle werden verlieren, fürchte ich.« Wallenstein war beim Reizthema der letzten Monate angelangt – bei der geplanten Umwidmung der Weinlage Titusborn in Bauland. Janz wußte immer noch nicht, auf welcher Seite er eigentlich stand. Am liebsten hätte er sich gar nicht entschieden. Daß einigen Leuten das Wasser bis zum Hals stand und sie verzweifelt nach einem Ausweg suchten – wer konnte das besser verstehen als er? Aber ganz astrein schien ihm der Deal nicht zu sein. Und der Preis, dachte er, ist astronomisch, den man für den Verlust seines Anstands zahlt.
    »Wieso gute Weinlagen aufgeben? Von den schlechten Weinlagen brauchen wir ein paar weniger«, sagte jetzt Paul. »Und wenn die Winzer weiterhin ihren sauersten Ausschuß an Frankfurter Kneipen verticken, haben wir bald den letzten Weintrinker zum Bier zurückgejagt.«
    »Oder zu Ebbelwoi.« Karen Stark schüttelte sich.
    »Oder zu Pinot Grigio«, sagte Wallenstein und klopfte sich auf die Schenkel.
    Janz ließ die drei weiterreden. Er hatte sich zur Regel gemacht, sich möglichst nicht einzumischen. Es war besser, man hielt sich zurück. Alles andere lohnte nicht. Der Hund seufzte einmal tief auf, hob den Kopf, schaute ihn mit feuchten braunen Augen an und ließ den Kopf mit den ergrauten Haaren um die Schnauze wieder sinken. Der Kerl war auch schon alt, alt wie sein Herrchen.
    »Nun muß es doch endlich einmal genug sein, Hannes, oder?« Schon wieder Wallenstein. Janz guckte auf. Man war bei den alten Geschichten angelangt. Natürlich. Panitz hatte am Samstag die übliche Predigt gehalten.

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