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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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tiefes Unbehagen in ihm aus. Ob vielleicht doch …? Lieber nicht daran denken.
    Er drehte den Wasserhahn auf und spülte sich den Mund. Dann wischte er sich mit dem Handtuch das Gesicht ab und zog die Pyjamajacke an. Vor einigen Wochen hatte er die Therapeutin angerufen, um sie zu bitten, sie möge Elisabeth auf den Boden der Realität zurückholen.
    »Wir sind der Wahrheit auf der Spur, Herr Klar«, hatte die Frau mit emotionsloser Stimme geantwortet.
    »Sie nähren Wahnvorstellungen bei meiner Frau!«
    »Daß Sie das so sehen müssen, ist mir klar.«
    Er war aufgebraust. »Was soll das heißen?« hatte er ins Telefon gerufen. Sie hatte ihn mit ganz ganz leiser Summe gebeten, sie nicht wieder anzurufen. »Nie wieder, Herr Klar.«
    Sebastian zog die Badezimmertür hinter sich zu. Wartete einen Moment vor Elisabeths Schlafzimmer. Vielleicht rief sie ja doch noch nach ihm. Und ging dann auf nackten Sohlen hinüber in sein Arbeitszimmer, wo er sein Klappbett gemacht hatte. Wie er es jeden Abend machte – seit fast einem Jahr. Der Mann, der einmal alles hatte. Und alles verloren hatte, dachte er in einem Anfall von tiefem Selbstmitleid.
    Fast alles. Denn das Hotel, sein Lebenswerk, würde er sich nicht nehmen lassen. Von niemandem.
    Hätte Elisabeth noch neben ihrem Mann gelegen, hätte sie hören können, wie sein Gebiß mahlte. Wie er mit den Zähnen knirschte. Fast die ganze Nacht hindurch.

10
    Paul goß Karen Kaffee in die Tasse und die heiße Milch gleich mit dazu. »Tee können sie alle nicht kochen.« Er hob angewidert den Deckel von der kleinen Teekanne. Zwar hatten sie ihm keinen Teebeutel zugemutet – aber dafür die Teeblätter in der Kanne gelassen, wo sie sich jetzt wahrscheinlich mausetot gearbeitet hatten. Merkwürdig. Ein so renommiertes Hotel. Mit einer so vielgerühmten Küche. Und bei solchen Kleinigkeiten gibt man sich keine Mühe.
    Er nahm sich eines der kleinen, noch warmen Brötchen aus dem Brotkorb und strich sich den Kräuterquark fingerdick darauf. Karen hatte sich hinter der Zeitung verschanzt und grunzte etwas, das man nur im Zuge jahrelanger Zuneigung als »danke« interpretieren konnte.
    Eine milchige Sonne drang durch die Balkontür, die leicht offenstand. Eine kühle Brise schob den Vorhang beiseite. Man konnte den Fluß sehen, die Schiffe, die bewaldeten Hänge am anderen Ufer. Vom Garten her wehten Blütendüfte hoch, von Wildrosen und Flieder. Bremer griff wieder zum Feuilleton der Zeitung, die man ihnen mit dem Frühstück gebracht hatte. Karen hatte sich aus alter Gewohnheit auf den Lokal- und Regionalteil gestürzt.
    »›Die gefährlichste Stadt Deutschlands‹«, las sie plötzlich vor. »›Frankfurt ist wieder mal ganz vorn in der Kriminalitätsstatistik.‹ So ein Quatsch.« Sie regte sich über diese regelmäßig wiederkehrende Schreckensmeldung immer auf. »Die brauchten wohl mal wieder eine Schlagzeile.« Oder die Polizei meldete Geldbedarf an.
    »Du meinst, es wird nicht täglich alles schlimmer?« fragte Paul mit Unschuldsmiene. Karens Meinung in diesen Dingen war ihm nicht gerade unvertraut.
    »Natürlich nicht. Alles, was der brave Bürger am meisten fürchtet – Diebstahl, Gewalt –, nimmt in ›Mainhattan‹ ebenso ab wie in allen anderen Städten auch.«
    »Weil die Polizei so gut arbeitet …« Paul biß ins Brötchen.
    »Quatsch. Weil das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt. Du brauchst nur uns beide anzusehen.« Paul leckte sich die Finger ab. Die Statistik wies junge Männer bis 30 als die Mehrheit der Straffälligen oder Tatverdächtigen aus. Und deren Anteil an der Gesamtbevölkerung war rückläufig. Ganz einfach.
    Paul nahm sich das letzte Brötchen. »Möchtest du …?« fragte er vorsichtshalber. Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. »Ich muß auf meine Figur achten«, hatte sie vorhin verkündet. »Auf was, bitte?« hatte er zurückgefragt. Sie hatte ihn mit der Serviette beworfen.
    »Die wichtigen Sachen stehen erst auf Seite 37.« Karen klang überrascht. »›Tod bei der Weinprobe. Die renommierte Wingartener ›Traube‹ hat einen Ruf zu verlieren. Ein Bericht von Hannes Mohrmann‹.«
    »Erst auf Seite 37? Die Weltstadt Frankfurt nimmt ihre Randregionen aber nicht sonderlich ernst.« Die Klars würden das anders sehen. Für sie bedeutete auch die Seite 37 der »FAZ« noch eine mittelschwere Katastrophe. Nämlich den Pranger. Und das auch noch kurz vor der ganzen Reihe von Galadiners, Weinproben und anderen Veranstaltungen, für die die

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