Wasser zu Wein
Chevaillier und Panitz als Mordopfer – das ginge auf.
»Also die Winzer, meinst du«, hatte Kosinski schließlich gesagt.
Bremer fühlte sich als Chefdenunziant. Andererseits – die anwesenden Winzer hatten tatsächlich schuldbewußt gewirkt, verlegen; niemand hatte den anderen angesehen, keiner etwas gesagt. Christoph Corves war sich mit der Hand durch den blonden Bart gefahren, immer wieder. Hannes Janz hatte die Hände in den Hosentaschen versenkt und nervös alle naselang Standbein und Spielbein gewechselt. Selbst Priors sonst so stabiles Selbstbewußtsein hatte deutlich gedämpft gewirkt.
Aber Kosinski hatte den Kopf geschüttelt. »Der Autopsiebericht über Alain Chevaillier hat keine Anhaltspunkte für einen unnatürlichen Tod ergeben. Und sollte Chevaillier wirklich Opfer einer Verwechslung geworden sein, so ist das bei von der Lotte völlig ausgeschlossen. Wie Panitz sah der Mann beim besten Willen nicht aus – auch nicht von hinten.«
Er hatte die Zigarette ausgedrückt und nach der Kellnerin gewunken. Seinen Mitarbeiter hatte er schon vor einer Stunde zum Berichterstatten aufs Revier geschickt. Dem jungen Mann hatte man bei seinem Abschied angesehen, wie wenig ihm behagte, daß sein Hauptkommissar rauchte und trank und das auch noch mit einem Tatzeugen, der zugleich ein Tatverdächtiger war. Im Dienst.
Gerade dieses Unkonventionelle und Vertrauenerweckende machte Kosinski so sympathisch, dachte Paul. Und so gefährlich.
3
Die Zimmermädchen bezogen das Bett und putzten im Bad, während Karen auf dem Balkon saß und sich vom Fluß da unten Lastkähne und Vergnügungsdampfer und Motorboote vorbeitragen ließ. Auf die Weinprobe heute mittag hatte sie verzichtet; Sebastian Klar hatte überzeugend geschildert, daß die Treppen auf Burg Monrepos zu eng und steil für eine Frau auf Krücken wären.
Das Geräusch des Staubsaugers verstummte; im Zimmer hinter ihr wurde die Tür geschlossen. Die Zimmermädchen waren gegangen. Karen hatte ihr eingegipstes Bein vor sich auf einen Stuhl gelegt und dämmerte langsam ein. Nichtstun macht müde. Als sie wieder hochschreckte, brauchte sie ein paar Sekunden, bevor sie wußte, wo sie war. Ein heftiger Luftzug hatte die Balkontür erst zu- und dann wieder aufgedrückt. Paul, dachte sie. Paul ist zurückgekommen.
Sie blinzelte durch die Türöffnung hindurch ins dunkle Zimmer. Niemand war gekommen. Aber es war einer gegangen. Gerade noch sah sie, wie sich die Zimmertür wieder schloß. Sie schüttelte benommen den Kopf. Dem Sonnenstand nach war es bereits später Nachmittag. Sie griff nach ihren Krücken und schwang sich aus dem Zimmer. Der Flur war menschenleer. Nur ganz hinten klappte eine Tür. Für ein paar Sekunden glaubte sie, sie hätte Elisabeth Klar gesehen – und, wie ein kleiner weißer Blitz, den Kater mit der seltsamen Frisur.
Elisabeth Klar. Die Mutter der kleinen Bettine. Karen hatte das Gesicht noch vor Augen, das gestern zu ihr heruntergesehen hatte. Die Frau hatte ausgesehen, als ob sie sich nur noch mit Mühe zusammenhielt. Dabei war die Sache ein Jahr her.
Na und? dachte sie plötzlich. Vielleicht ging so ein Schmerz nie vorbei. Es mußte furchtbar sein, ein Kind zu verlieren – auf eine so schreckliche Weise. Noch furchtbarer sicherlich, als niemals eines haben zu können.
Sie schwang sich ins Zimmer zurück und setzte sich aufs Bett. Wie lange eigentlich schlief sie schon allein im Bett, jede Nacht, seit wie vielen unendlich langen Jahren? Seit Ralph eines Tages gegangen war, zurück zu Frau und Kind – aber die hatte er ja eigentlich nie richtig verlassen. Wofür auch? Für eine Frau, die ihren Beruf fanatisch liebte? Und die keine Kinder bekommen konnte? »Selbst dran schuld«, flüsterte Karen – was nur die halbe Wahrheit war.
Warum nur tat dieser Gedanke plötzlich wieder so weh? Sie hatte sich doch längst abgefunden damit – hatte sie geglaubt. Zur Not konnte man immer noch ein Kind adoptieren. Das war die alte Zauberformel. Aber sie hatte nie ein Kind adoptiert. Und sie würde auch keines mehr adoptieren – noch nicht einmal, wenn er ihr irgendwann begegnete, der Mann mit den Idealmaßen der Karen Stark.
Was für ein Leben, dachte sie plötzlich: Kinderlose, alleinstehende Staatsanwältin erklimmt in Ermangelung privater Alternativen unaufhaltsam die Karriereleiter, läßt sich die eleganten Kostüme maßschneidern und von jungen Referendaren die Designer-Aktentasche hinterhertragen. Und geht jeden Abend allein nach Hause,
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