Wasser
denn nur hier, in fast unmittelbarer Nähe zu dessen Finanzzentren, besteht für das große Nachbarland die Möglichkeit, sich sicher und ausreichend mit Wasser zu versorgen. Die Wassersituation Südafrikas gilt als so prekär, dass die politischen Führer des Landes inzwischen sogar erwogen haben, Wasser aus so weit entfernten Ländern wie dem Kongo oder Angola zu importieren. Mindestens die Hälfte des Wassers in den südafrikanischen Flüssen kommt allerdings aus Lesotho. Frühere Regierungen Südafrikas – insbesondere nachdem die Nationale Partei (NP) Ende der 1940er Jahre die Macht übernommen hatte – wollten Lesotho ihrem Land einverleiben. Südafrika warf den britischen Machthabern, unter deren Protektorat Lesotho stand, vor, zu wenig dagegen zu unternehmen, dass die aus den Bergen kommenden Flüsse Unmengen an Schlamm mit sich führten und so die südafrikanischen Wasseranlagen zerstörten. Damit würden sie die südafrikanischen Flüsse und mit ihnen den gesamten Industrialisierungsprozess des Landes blockieren. London wollte ursprünglich Lesothos Unabhängigkeit gegenüber Südafrika stärken, indem man auf Energieproduktion durch Wasserkraft für den Export nach Südafrika setzte, doch dieses Vorhaben misslang, sogar das Gegenteil trat ein: Ab 1968 war es Südafrika, das Energie nach Lesotho exportierte. Die großen Wasserpläne Lesothos beschränkten sich auf den Export unbehandelten Wassers in die südafrikanische Provinz Gauteng.
Das einzige Anzeichen für Modernität in dieser leuchtend grünen Felslandschaft mit ihren verstreut liegenden runden Hütten, aus denen zumeist dichter, träger Rauch aufsteigt, sind die Straßen und Staudämme, die von Südafrika erbaut wurden, um einen groß angelegten Export von Wasser zu ermöglichen. Solange Lesotho ein armes Land ist ohne die wirtschaftliche Kraft, die Nutzung desWassers im eigenen Land voranzutreiben, und solange es davon lebt, Arbeitskräfte und Wasser in das Nachbarland zu exportieren, ist der kleine Staat ein idealer Nachbar für die regionale Großmacht Südafrika. In den 1980er Jahren schlossen beide Länder ein Abkommen, das Lesotho verpflichtet, große Teile seines Wassers in das 300 Kilometer entfernte Johannesburg zu leiten.
Die Opposition in Lesotho verurteilte das Wasser-Abkommen mit Südafrika jedoch als Ausverkauf nationaler Ressourcen und organisierte Proteste. Im September 1998 entsandte Südafrika militärische Kräfte in die Hauptstadt Maseru und an den Katse-Damm, wo 16 Wachleute getötet wurden. Die Botschaft war eindeutig: Niemand in Lesotho sollte sich einbilden, dass Südafrika eine Gefährdung des Wasserexports zuließe. Während in Lesotho der Vorgang als »Invasion« betrachtet wurde und auch eine Entschuldigung gefordert wurde, sprach die politische Führung Südafrikas von einer »Intervention« zur Verteidigung geschlossener Verträge.
Der militärische Feldzug war schnell vorbei. Die Weltöffentlichkeit nahm von den Ereignissen kaum Notiz, doch in Lesotho gehört die Episode zu den traumatischen Ereignissen in der kurzen Geschichte des Landes. »Mein Bruder wurde hier getötet«, erzählt mir der Kontaktmann am Katse-Damm, als er mir die Anlage zeigt. Der große Staudamm ist 185 Meter hoch und in einem Halbkreis erbaut, um dem massiven Druck standzuhalten.
Später am Abend, als das Licht so blau wird, dass man meinen könnte, es würde sowohl vom Himmel als auch von der Wasserfläche eingefärbt, stehe ich am Rand dieses künstlichen Sees. Was ich hier sehe, ist womöglich ein Zukunftsszenario: Trinkwasser wird zu einer internationalen Handelsware, nicht nur in Flaschen, sondern in Röhren und Kanälen, die möglicherweise von Nordnach Südeuropa, von der Türkei in den Nahen Osten oder von Kanada in die USA führen. Es scheint fast paradox, dass ausgerechnet hier, auf einer schönen, unbewohnten, in 3000 Metern über dem Meeresspiegel liegenden Hochgebirgsebene in einem kleinen, kaum bekannten afrikanischen Land diese Zukunft eingeläutet wird. Einbitterarmes Land lebt davon, eine erneuerbare Ressource in ein reiches Nachbarland zu verkaufen.
Wird Wasser erst zu einer internationalen Handelsware, dann ändern sich auch die globalen Machtverhältnisse. Die wasserreichen Länder werden ein größeres strategisches Gewicht erlangen. Jene Staaten, die am Oberlauf der Flüsse liegen und somit das Wasser kontrollieren können, werden künftig eine ganz neue geopolitische Machtposition erhalten. Sind die Wasserfürsten
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