Wassergeld
Schweigezeit.
»Ist Staatsanwalt eigentlich ein Beruf?«, fragte er mich und ich merkte, dass er es nicht ernst meinte. »Also, ich meine einen Beruf, den man lernen muss?«
»Da kann ich dich beruhigen, Gerhard. Das läuft wie im antiken Griechenland, die Jobs als Staatsanwalt werden alle paar Jahre verlost. Bestimmte Qualifikationen sind überflüssig, ja sogar hinderlich.«
Wir lachten über unseren Scherz.
»Manchmal glaube ich wirklich, Borgia hat ein Brett vor dem Kopf«, meinte Gerhard. »Aber bei einem Punkt muss ich ihm bedauerlicherweise recht geben. Ich glaube auch nicht an den großen Unbekannten.«
16. Besuch bei Jacques
Dummerweise hatten wir vergessen, KPD anzurufen. Hinzu kam, dass wir auf dem Rückweg an einer Imbissbude eine ausgedehnte Verpflegungspause eingelegt hatten. Bereits im Treppenhaus unserer Dienststelle fing er Gerhard und mich ab. »Da sind Sie ja endlich, meine Herren«, sprudelte es aufgeregt aus ihm heraus. »Folgen Sie mir in mein Büro.«
Es wunderte mich nicht im Geringsten, dass Dietmar Becker auf der Couch in KPDs Büro saß. »Kommen Sie bitte gleich zur Sache! Ich habe lange genug warten müssen. Wo sind Sie nur gewesen?«
Um ihn nicht zu verärgern, stotterte ich als Entschuldigung eine spontan erfundene Geschichte von einem Verkehrsstau. Danach erzählten Gerhard und ich unsere Erlebnisse bei Staatsanwalt Borgia. Wie so üblich, hörte unser Chef nicht richtig zu. Warum auch, er hatte sich seine Meinung längst gebildet.
»Ich habe es gleich gewusst. Dieser von Welchingen und der Matrose sind unsere gesuchten Erpresser. Der große Unbekannte ist reine Fantasie, vielleicht auch eine Schutzbehauptung. Diesem Eifler werde ich es zeigen, auf der Stelle werde ich Frau Wagner den Auftrag geben, die Pressekonferenz einzuberufen. Sie dürfen gerne dazukommen.« Mit einem gnädigen Blick sah er uns an. Danach schaute er zu dem Studenten. »Das gilt selbstverständlich auch für Sie, Herr Becker. Nach der Konferenz werde ich mir erlauben, Ihnen weitere Details bekannt zu geben. Ich weiß doch, was ich der Presse schuldig bin.«
Becker schien es im Büro von KPD langweilig geworden zu sein. Sein Notizblock sah aus wie nach einer Malstunde im Kindergarten. Nachdem KPD sein Büro verlassen hatte, um Jutta aufzusuchen, stand Dietmar Becker auf.
»Jetzt kann ich verstehen, warum Sie immer so deprimiert sind«, sagte der Student. »Bei so einem Chef würde es mir genauso gehen.«
Ich nickte. Was sollte ich dazu auch sagen? Wo er recht hatte, hatte er recht. »Dann schauen Sie mal, dass Sie dieses Büro rechtzeitig verlassen, bevor Herr Diefenbach zurückkommt.«
Becker schnappte sich seinen Malblock und verabschiedete sich. »Bis heute Mittag zur Pressekonferenz, Herr Palzki.«
Gerhard stand vor den Bücherregalen und las die Titel. »Was denkst du, Reiner? Hat KPD diese Bücher tatsächlich alle gelesen?«
»Wo denkst du hin? Unser Chef lässt lesen. Die Schrift würde ihn vermutlich überfordern. Komm, lass uns verschwinden.«
»Okay«, antwortete mein Kollege. »Ich muss kurz in mein Büro, Katharina anrufen. Wir treffen uns in ein paar Minuten bei Jutta.«
Ich stimmte ihm zu, doch ich hatte längst einen anderen Plan. Ich musste es tun, es war mal wieder wie ein innerer Zwang. Zunächst ging ich zu Jürgen und ließ mir von seinen Recherchen berichten. Diese bestätigten mich in meiner Vermutung. Doch ich musste es genau wissen. Mit meinem navilosen Dienstwagen fuhr ich, ohne mich zu verfahren, quer durch Schifferstadt in den Kestenbergerweg. Das Haus aus den 70er-Jahren war mir wohl bekannt. Hier wohnte Jacques Bosco, der größte Erfinder und Universalgelehrte aller Zeiten. Jacques kannte ich schon von Kindesbeinen an, wir waren früher Nachbarn gewesen. Als Kind hatte ich immer in seiner Werkstatt Verstecken gespielt. Doch das war lange her. Vor vielen Jahren hatten Jacques und seine Frau dieses Haus gekauft. Mittlerweile war Jacques Witwer. Einsam und etwas verschroben arbeitete er jeden Tag in seinem Labor hinter der Garage. Sein Keller beherbergte ein Sammelsurium an hochkarätigen Erfindungen, die bei Weitem nicht alle der Öffentlichkeit bekannt waren. Mein Freund erfand diese Sachen nicht für kommerzielle Zwecke, sondern rein aufgrund der Freude am Erfinden. Die letzten Jahre hatten ihn etwas einsam gemacht, er scheute die Öffentlichkeit. Erst seit einem halben Jahr taute er wieder auf, insbesondere seit unserem letzten gemeinsamen Erlebnis. Dummerweise wurde
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