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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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mit ihrem Charakter. In der Siedlung, in der alle zur Miete wohnten und in der ihre Eltern heute noch lebten, hatte sie sich immer wohlgefühlt. Es war eine in sich geschlossene Welt. Jedenfalls bis zu jenem Nachmittag, an dem Larissa verschwand. Larissa war eines der Shopping-Mädchen gewesen, mit denen Manuela nicht viel zu tun gehabt hatte, aber natürlich hatte sie sie gekannt. Sie war nie wieder aufgetaucht. Manuela, dreizehn Jahre alt und das einzige Mädchen der Familie Sperling, war mit Ratschlägen, Vorhaltungen und Verhaltensregeln nur so zugeschüttet worden, und ihre drei Brüder hatten ihr beigebracht, wie man richtig zuschlug. Manuela erinnerte sich noch, wie entsetzt sie damals darüber gewesen war, in einer Welt zu leben, in der man sich Gewalt antrainieren musste, um nicht zum Opfer zu werden. Damals war in ihr der Wunsch gekeimt, Polizistin zu werden. Natürlich suchte sie nicht immer noch nach Larissa, das zu sagen wäre albernes Psychogeschwafel, aber sie stellte sich gern vor, eine verlässliche Größe in einer Welt zu sein, in der es scheinbar keinen Verlass mehr gab.
    Sie stand jetzt vor der Haustür. Auf dem Klingelschild stand der Name Wolff . Wenigstens auf das Melderegister konnte man sich noch verlassen. Sie drückte auf den Knopf und wartete.
    Sie klingelte noch einmal und wartete wieder.
    Nach ein paar Minuten stand fest, dass niemand zu Hause war. Frau Wolff war wahrscheinlich bei der Arbeit. Das war zwar zu erwarten gewesen, aber Manuela hatte dennoch gehofft, sich sofort mit der Frau unterhalten zu können. Einer ihrer Ausbilder auf der Akademie hatte immer wieder gepredigt, in der Ermittlungsarbeit sei Geduld die wichtigste Eigenschaft und dass gerade die Geduldigen am Ende mit Erfolg belohnt wurden.
    Oft aber erst nach Jahren.
    Bei Manuela reichte die Geduld nicht einmal für ein paar Stunden.
    Dass sie hier nicht weiterkam, wollte sie einfach nicht akzeptieren. In solch einer Gegend kannte jeder jeden, und einige wussten alles. Sie würde versuchen, in der Nachbarschaft herauszufinden, wo Frau Wolff arbeitete.
    Als sie den schmalen Weg zurücklief, kam ihr ein uniformierter Polizist entgegen. Er war zwei Köpfe größer als sie, hatte breite Schultern und einen leichten Bauchansatz. In der neuen schwarzen Uniform wirkte er martialisch, wie der Kämpfer eines futuristischen Computerspiels.
    Er blieb abrupt stehen und sah sie an.
    «Sind Sie Frau Wolff?», fragte er mit dunkler Stimme.
    Ihn nach Frau Wolff fragen zu hören überraschte Manuela. Dass er sie nicht als Kommissarin erkannte, war nicht verwunderlich, viele hielten sie für jünger, als sie war, und sie war ja erst ganz kurz im Präsidium, aber warum suchten zwei Beamte gleichzeitig nach dieser Frau?
    Sie zog ihren Dienstausweis hervor.
    «Sperling. Mordkommission.» Zum allerersten Mal stellte sie sich offiziell vor. Sie fand, es klang einfach phantastisch. Hoffentlich nutzte sich die Freude daran nicht so schnell ab.
    Der verblüffte Polizist stellte sich als Holger Kraul vor.
    Er erzählte ihr von dem vermeintlichen Einbruch, zu dem er und sein Kollege gestern Abend gerufen worden waren. Er berichtete von einem Taxifahrer, der durch den Briefschlitz geschaut hatte und dabei von den Nachbarn erwischt worden war. Angeblich war er mit Frau Wolff verabredet gewesen. Da sie nicht öffnete, hatte er sich Sorgen gemacht. Derselbe Taxifahrer war am Vormittag, als Holger Kraul noch nicht im Dienst gewesen war, auf dem Präsidium erschienen, um Frau Wolff vermisst zu melden. Er hatte seinem Kollegen eine hanebüchene Story aufgetischt, die völlig unglaubwürdig klang.
    «Aber als mein Kollege mir bei der Schichtübergabe davon berichtete, wurde ich hellhörig. Dieser Taxifahrer scheint es wirklich ernst zu meinen, und ich dachte mir, na ja, es kann vielleicht nicht schaden, einmal bei Frau Wolff vorbeizuschauen.»
    Vor Manuelas geistigem Auge erschien das silberfarbene Taxi, das sie vom Parkplatz vor dem Präsidium verscheucht hatte, und das Taxi, dem sie vor ein paar Minuten auf der Fahrt hierher ausgewichen war. Manuela war sich nicht sicher, ob es sich bei dem Fahrer um ein und denselben Mann handelte, an einen Zufall mochte sie aber nicht glauben.
    «Dann haben Sie sicher die Personalien des Taxifahrers», sagte sie laut.
    Holger Kraul nickte.
    «Sicher. Sind in meinem Wagen. Warum?»
    «Ich muss im Zuge einer Mordermittlung dringend mit Frau Wolff sprechen. Dass sie jetzt anscheinend verschwunden ist, macht mir große

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