Wassermanns Zorn (German Edition)
Plan. Mit der Frau, die er im Bootsschuppen gefangen hielt, würde er Stiffler hierherlocken, und dann würde dieser Mistkerl für alles, was er gesagt und getan hatte, um Verzeihung bitten. Nicht ihn, sondern Siiri.
18
Lavinia bewegte ihren rechten Arm und berührte die Stelle an ihrem Hinterkopf, von der die Schmerzen ausgingen. Sie ertastete eine große Beule.
Sie war von Dunkelheit umgeben, aber die war keineswegs undurchdringlich. Lichtpunkte tanzten wie Sterne darin, kamen näher, entfernten sich dann wieder. Bei genauerem Hinsehen stellte Lavinia fest, dass sie an Ort und Stelle blieben, mal mehr, mal weniger Licht spendeten.
Zudem hörte sie Geräusche.
Plätschern, es klang wie Plätschern. Nicht gleichmäßig, sondern auf- und abschwellend, in einem sich ewig wiederholenden Rhythmus. Eine ganze Weile lag Lavi einfach nur da, konzentrierte sich auf diesen Rhythmus und versuchte, ihn zu ergründen. Sie wurde ein Teil davon, und als sie die Augen schloss, überkam sie das Gefühl, ihr Körper läge nicht auf festem Boden, sondern auf einer Planke, die auf Wellen schwankte. Vielleicht trieb sie ja auf einem Boot unter dem nächtlichen Sternenhimmel vor jener Steilküste vor Taormina, in die sich ihr Haus wie ein Schwalbennest an den grauen Stein schmiegte.
Da stach der Schmerz in ihrem Kopf erneut zu. Sie erinnerte sich.
Frank!
Sie war bei Frank gewesen. Er hatte in seinem Sessel geschlafen. Sie erinnerte sich, dass in der gesamten Küche nichts Essbares zu finden gewesen war. Weil ihr Magen aber vor Hunger schon knurrte, war ihr nichts anders übrig geblieben, als die Wohnung zu verlassen, um Brötchen zu holen.
Die frühe Morgensonne hatte ihr Gesicht gewärmt, es war still gewesen auf der Straße, fast ein wenig einsam. Und dann … dann war er da gewesen. Nach all den Jahren, trotz ihrer Vorsicht, und obwohl sie doch gewarnt war, hatte er sie gefunden.
Er hatte den denkbar günstigsten Moment erwischt. Diese Nacht bei Frank hatte einiges verändert. Endlich hatte sie mit jemandem über ihre schrecklichen Erlebnisse sprechen können. Jedes einzelne Wort hatte ihre Seele erleichtert, so als würde sie Ballast abwerfen. Der Sonnenaufgang auf dem Balkon war wie eine Erleuchtung gewesen, Taormina war wieder ganz nah gewesen. So beschwingt wie seit Jahren nicht mehr hatte sie sich auf den Weg zum Bäcker gemacht, und ihr Kopf war ausgefüllt gewesen mit ihrem Plan. Sie hatte sich die Farbe vorgestellt, in der sie das Haus in den Klippen streichen würde, hatte über die Auswahl der Möbel nachgedacht und sich auf den Besuch im Reisebüro gefreut.
Und dann hatte er zugeschlagen.
Er hatte sie im günstigsten aller Momente erwischt, als ihr Instinkt blind und sie wehrlos gewesen war.
19
Es war bereits halb eins, als Manuela in die Ratsstraße einbog. Sie hatte eine Weile nach Kollege Bader gesucht, ihn aber nicht gefunden, und weil niemand anderes abkömmlich war, war sie schließlich doch allein aufgebrochen. Eine simple Zeugenvernehmung würde sie auch ohne Unterstützung hinbekommen.
Ein silberfarbenes Taxi fuhr mitten auf der engen Straße, sodass sie scharf bremsen musste.
«Blödes Arschloch!», fluchte sie, wohl wissend, dass der Fahrer sie nicht hören konnte. Es tat trotzdem gut.
Das Taxi quälte sich an ihr vorbei. Sie erhaschte einen Blick auf das Gesicht des Fahrers und glaubte, es schon einmal gesehen zu haben.
Dann war es weg, und sie konzentrierte sich wieder auf die Suche nach der Hausnummer. Nach Auskunft des zentralen Melderegisters wohnte Lavinia Wolff in der Ratsstraße 17a.
Manuela fand die Adresse, parkte den Wagen und stieg aus. Es war ruhig in dem abseitsgelegenen Wohngebiet, und es roch nach Mittagessen. Manuela ignorierte ihren knurrenden Magen und ging den schmalen Fußweg hoch, der zu dem Mietsblock führte.
Das Umfeld erinnerte sie an die Gegend, in der sie selbst aufgewachsen war. Ihre Eltern hatten es nie zu einem eigenen Haus gebracht, dafür hatte ihnen der Antrieb gefehlt. Ihr Vater hatte zeit seines Lebens als Staplerfahrer in einem Getränkemarkt gearbeitet, und ihre Mutter hatte das Haushaltsgeld mit verschiedenen Putzjobs aufgebessert. Geld war bei den Sperlings immer knapp gewesen. Dennoch hatte Manuela hauptsächlich schöne Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend. Sie war öfter mit Jungs losgezogen als mit Mädchen, weil sie sich nie für Shoppingtouren und Schminktipps interessiert hatte. Das hatte nichts mit dem fehlenden Geld zu tun gehabt, sondern
Weitere Kostenlose Bücher