Wassermanns Zorn (German Edition)
Führerschein und damit seine jetzige Existenz zu verdanken – aber auch sein aufgedunsenes Gesicht und den erhöhten Blutdruck. Mit zwanzig hatte er nicht mal mehr mit einem entsprechenden Film und intensiver Handarbeit einen Ständer bekommen. Da hatte er die Therapie von sich aus abgebrochen und sich geschworen, nie wieder eine dieser Pillen zu nehmen. In den folgenden Jahren hatte er diesen Schwur nur zugunsten der Beruhigungsmittel gebrochen.
Mit dem Schlafmangel kam er zurecht, mit den Schlafattacken ebenfalls. An die Halluzinationen hatte er sich gewöhnt und an sein beschissen einsames Leben ebenfalls. Aber nicht an die Kataplexien. Nein, daran nicht, sie waren einfach zu furchteinflößend. Mit zunehmendem Alter waren sie zwar seltener und schwächer geworden, aber nie ganz verschwunden. Er war ein paarmal gestürzt deswegen, hatte sich die Lippe aufgeschlagen, einen Zahn ausgeschlagen, ein Handy ruiniert und Spott auf sich gezogen.
Sie würden immer wiederkommen, das wusste er, und wenn er nicht aufpasste, würden sie vielleicht irgendwann wieder ein Menschenleben kosten.
Frank starrte die Packung an.
Seine Hand zitterte.
Er hatte keine Ahnung, wie er Lavinia helfen sollte. Aber ohne die Pillen würde es gar nicht gehen.
Also riss er die Packung auf, warf sich eine ovale Tablette in den Mund, ließ Wasser in ein Glas laufen und spülte sie hinunter.
Sie fühlte sich an wie ein in Sandpapier eingewickelter Football.
Als er das Glas abermals mit Wasser füllen wollte, klingelte es an der Haustür.
Hastig eilte er zur Tür, stieß sich dabei die Hüfte an der Anrichte, riss die Tür auf und …
Keine Lavinia. Stattdessen eine kleine Frau mit schmalem Körperbau, halblangem braunem Haar und einem überaus neugierigen Blick. Hinter ihr stand ein Polizist. Frank erkannte ihn sofort wieder: Es war Holger Kraul, der Mann, der ihn gestern Abend vor dem Grillkommando gerettet hatte.
«Herr Frank Engler?», fragte die Frau.
«Ja.»
Sie hielt ihm einen Dienstausweis vors Gesicht.
«Manuela Sperling, Kriminalpolizei. Dürfte ich Sie kurz sprechen?»
Franks Magen zog sich schmerzhaft zusammen, und das lag nicht an der Pille, die sich langsam aufzulösen begann. Er hatte eine Ahnung, aus welchem Grund die beiden Beamten vor seiner Tür standen.
«Was ist mit ihr?», fragte Frank.
«Mit wem?»
«Mit Lavinia, was ist mit ihr? Haben Sie sie gefunden? Geht es ihr gut?»
«Herr Engler, würden Sie uns bitte hineinlassen, dann können wir uns in aller Ruhe darüber unterhalten.»
Frank sah von der kleinen Frau zu Holger Kraul auf, der mehr als einen Kopf größer war als sie und sich wie ihr Bodyguard ausnahm. Sein Gesichtsausdruck war ernst und undurchschaubar.
«Okay», sagte Frank und ließ die beiden eintreten.
Er schloss die Tür, führte sie in die Küche und bot ihnen an dem kleinen runden Esstisch einen Platz an.
Die Polizistin entdeckte sofort die Medikamentenpackung auf der Arbeitsplatte, nahm sie in die Hand und las die Aufschrift.
«Geht es Ihnen nicht gut?», fragte sie und sah ihm aufmerksam ins Gesicht.
Frank schüttelte den Kopf.
«Nein, alles in Ordnung. Ist nur gegen … Magenschmerzen.»
Sie nickte, legte die Packung weg, ließ ihren Blick durch den Raum wandern, setzte sich aber nicht.
«Herr Engler», begann sie schließlich. «Sie waren heute Vormittag auf dem Präsidium, um Frau Wolff vermisst zu melden. Ist das richtig?»
Frank nickte.
«Aber der Beamte wollte mir nicht glauben. Er hielt mich für einen Stalker. Was ist denn mit Lavinia? Haben Sie sie gefunden? Geht es ihr gut?»
«Lassen Sie uns das bitte der Reihe nach klären.»
Sie setzte sich und deutete auf den zweiten Stuhl. Frank ließ sich darauf sinken. Holger Kraul blieb mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen stehen.
«Warum haben Sie Frau Wolff vermisst gemeldet?»
«Habe ich alles schon erzählt», sagte Frank.
«Aber nicht mir. Also, bitte.»
Frank holte tief Luft und erzählte die Geschichte noch einmal. Er fügte noch hinzu, dass er vorhin abermals an Lavinias Haustür gewesen war, sie aber wieder nicht angetroffen hatte. Einzig seinen kataplektischen Anfall erwähnte er nicht.
Manuela Sperlings braune Augen signalisierten sowohl Interesse als auch Mitgefühl, und es fiel Frank nicht schwer, ihrem Blick standzuhalten.
«Wo waren Sie gestern Abend zwischen siebzehn und zwanzig Uhr?», fragte sie.
«Wo ich …? Was soll die Frage?»
«Beantworten Sie sie doch einfach.»
«Ich bin
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