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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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konnte.
    «Ja, alles in Ordnung», sagte sie zögernd.
    Natürlich musste ihr Verhalten einen merkwürdigen Eindruck auf den Fahrer gemacht haben. Jetzt, in der Sicherheit des Wagens, fragte Lavinia sich, warum sie so heftig reagiert hatte. Ein Mann hatte im Schatten einer Markise gestanden, und sie hatte seinen Blick mehr gespürt als gesehen. Das war es auch schon gewesen.
    Das war es nicht, und das weißt du ganz genau, rief die Stimme in ihrem Kopf.
    «Sie sehen aber so aus, als seien Sie auf der Flucht vor jemandem», sagte der Fahrer.
    Im Grunde war es ziemlich dreist, dass er sich in ihre Angelegenheiten einmischte, aber die Art und Weise, wie er sprach und Lavinia dabei ansah, zeigte ihr, dass er sich wirklich sorgte und sie nicht nur anbaggern wollte. Taxifahrer machten in ihrem Job eine ganze Menge mit und hatten oft ein sensibles Gespür für Notsituationen. In ihrem anderen Leben hatte Lavinia sie immer als hilfsbereit erlebt.
    «Stimmt», sagte sie kurz entschlossen. «Ich hatte tatsächlich das Gefühl, verfolgt zu werden.»
    «Soll ich Sie zur Polizei bringen?», bot der Fahrer an.
    Lavinia schüttelte den Kopf.
    «Ist nicht nötig.»
    Sie beugte sich zwischen den Sitzen vor.
    «Wie heißt du?», fragte sie.
    Falls der Fahrer von der Frage und dem Du überrascht wurde, ließ er es sich zumindest nicht anmerken.
    «Frank.»
    «Schön, dich kennenzulernen, Frank. Ich bin Lavinia.»
    Da sie ihm während der Fahrt nicht die Hand schütteln konnte, berührte sie ihn kurz an der Schulter. Sie wusste, wie sehr Männer auf kleine und scheinbar unbewusste Berührungen hübscher Frauen reagierten.
    «Könntest du vielleicht umdrehen und zurück zur Endstation fahren?», bat sie ihn. «Ich möchte etwas überprüfen.»
    «Klar doch», sagte Frank. «Für dich steige ich auch aus und stelle den Kerl zur Rede.»
    Lavinia berührte ihn abermals an der Schulter und schenkte ihm ein Lächeln. Sie kannten sich seit zwei Minuten, und schon würde er sich für sie in den Kampf stürzen. Wie konnten Männer nur so wunderbar mutig und so erschreckend dumm zugleich sein?
    «Ist nett von dir, aber wirklich nicht nötig. Ich möchte nur wissen, ob mir jemand mit der Bahn gefolgt ist.»
    «Kein Problem», sagte Frank und drückte eine Taste am Taxameter. Die Digitalanzeige hatte bereits bei sechs Euro gestanden, sprang jetzt aber auf null.
    «Ich schalte es an der Haltestelle wieder ein, und wir fangen noch mal von vorn an», sagte er.
    «Nicht, dass du meinetwegen Ärger bekommst.»
    Er grinste sie durch den Spiegel hindurch an.
    «Ich bin mein eigener Chef, ist also kein Problem.»
    Nach ein paar Minuten erreichten sie die Haltestelle. Frank reihte sich nicht hinter die beiden wartenden Taxen ein, sondern blieb in einiger Entfernung in der Feuerwehreinfahrt zur Turnhalle des Sportvereins stehen.
    «In zwei Minuten kommt die nächste», sagte er nach einem Blick auf die Uhr.
    Lavinia nickte abwesend. Zwei Teenager spielten mit ihren Skateboards vor einem Geländer, ein in Orange gekleideter Mitarbeiter des Bauhofs leerte eine Mülltonne auf die Ladefläche seines Transporters. Sie begann wieder an ihrem Fingernagel zu kauen. War er doch mit ihr zusammen ausgestiegen und beobachtete sie aus einem der vielen tiefen Schatten des Überdachs heraus?
    «Steigst du jeden Tag hier aus?», fragte Frank und riss sie damit aus ihrer Konzentration.
    Lavinia suchte seinen Blick im Spiegel.
    «Warum?»
    «Nur so. Ich dachte, ich hätte dich schon mal gesehen. Arbeitest du in der Stadt?»
    «Wird das ein Verhör?», konterte sie, versuchte aber, ihre Stimme trotz der Anspannung nett klingen zu lassen. Seine Augen gefielen ihr. Die Farbe war faszinierend.
    «Nein, nur Konversation. Gehört bei Taxifahrern zur Jobbeschreibung.»
    «Und du nimmst es damit sehr genau, oder?», sagte Lavinia.
    «Da kommt die Bahn», wich er der Frage aus.
    Beide starrten hinüber.
    Etwa ein Dutzend Pendler strömten aus der kleinen Vororthaltestelle. Die meisten von ihnen strebten auf den kleinen Parkplatz am Rand des Platzes zu und stiegen dort in ihre Fahrzeuge. Zwei Mädchen im Teenageralter begrüßten die Skater-Jungs und zogen lachend mit ihnen davon. Eine ältere Dame stieg in ein Taxi. Nach ein paar Minuten lag der Vorplatz wieder verlassen da.
    «Hm», machte Frank. «Das war wohl nichts.»
    Lavinia antwortete nicht. Sie starrte immer noch hinüber.
    «Da kommt niemand mehr», sagte Frank.
    Sie sah ein, dass er recht hatte, drehte sich um und

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