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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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als hätte er sie mit der Frage beleidigt.
    «Aber wo ist sie dann ertrunken?»
    «Das herauszufinden ist Ihre Aufgabe. Ich kann Ihnen nur sagen, dass der Fundort der Leiche nicht der Tatort ist. Wir haben die Wasserproben miteinander verglichen. Das Wasser aus der Lunge der Toten ist sehr nährstoffreich und mit Algen durchsetzt. So etwas findet sich nicht in fließenden Gewässern.»
    «Wo dann?», fragte Manuela.
    «In einem See», sagte Stiffler, ohne von dem Leichnam aufzusehen.

6
Niemand konnte sie vom Wasser fernhalten.
Sie war darin geboren worden, es war ihr Element, in dem sie sich mit traumwandlerischer Sicherheit so anmutig bewegte wie ein Fisch. Sie war kein Fremdkörper darin, sondern war ein Teil davon und erlangte erst im Wasser ihre wahre Bestimmung. Sie wurde zu einem menschlichen Delfin.
Ohne sich zu bewegen, und oftmals auch ohne zu atmen, stand er dann auf dem langen Holzsteg und schaute ihr gebannt zu, bis ihm von den Lichtreflexionen auf der Oberfläche die Augen tränten und er Kopfschmerzen bekam. Stets versuchte er, sie nicht aus dem Blick zu verlieren, was ihm nicht immer gelang, denn sie war sehr schnell und hörte einfach nicht auf ihn.
So oft hatte er ihr gesagt, sie solle nicht zu weit hinausschwimmen, sondern in Sichtweite des Stegs bleiben, so wie es ihre Eltern befohlen hatten. Doch sobald Mama und Papa nicht mehr da waren, ignorierte sie alle Anweisungen und tat, was sie wollte. Dann schwamm sie doch ganz weit hinaus, dorthin, wo das Wasser kalt und dunkel war und Pflanzen mit langen, feingliedrigen Armen wuchsen, die einen Menschen fangen und auf den Grund ziehen konnten.
Warum hatte sie keine Angst?
Sie kannte die alten Geschichten aus der Heimat doch auch.
Es waren grauenhafte Geschichten darüber, was mit Kindern geschah, die nicht auf ihre Eltern hörten. Sie handelten von Schlingpflanzen, die sich von Menschenfleisch ernährten. Die Kinder unter die Wasseroberfläche zogen, sie dort fesselten und langsam mürbe werden ließen, so wie es auch Krokodile taten. Und wenn das Fleisch dann beinahe von den Knochen fiel, begannen die Pflanzen zu fressen. Langsam und genüsslich und mit Geräuschen, die wie das Schwappen der Wellen an den Strand oder an die Eichenpfähle des Stegs klangen. In Wahrheit waren es Fressgeräusche. Davor hatte er sich stets gefürchtet.
Von alldem zeigte Siiri sich aber völlig unbeeindruckt, und wenn er seine kleine Schwester jetzt so zügellos durchs Wasser gleiten sah, erfüllte ihn das oft mit Neid und manchmal auch mit Wut. Warum er so wütend war, wusste er nicht. Vielleicht weil er begriff, dass sie viel besser hierher passte als er selbst, obwohl er diesen See doch immer als sein Reich betrachtet hatte. Und das machte ihn traurig, denn auf seine kleine Schwester wollte er nicht wütend sein. Er liebte sie doch über alles.
Wenn ihre Eltern freihatten, saßen sie oft stundenlang auf den alten Holzstühlen am Ende des Stegs und sahen Siiri zu. Sie applaudierten, wenn sie den See besonders schnell durchschwamm oder kraulte, ohne dass es ihr jemand beigebracht hätte. Mama erwartete sie mit einem ausgebreiteten Handtuch, wenn Siiri wieder einmal völlig ausgekühlt, zitternd und mit blauen Lippen aus dem Wasser stieg. Dann wickelte Mama sie in das Handtuch ein und rubbelte sie so lange trocken, bis sie nicht mehr fror.
Er konnte zähneklappernd daneben stehen, konnte ebenso blaue Lippen haben wie seine Schwester, doch ihm wurde nur achtlos ein Handtuch gereicht, mit dem er sich selbst abtrocknen musste. Oder sie schickten ihn ins Haus, um warmen Kakao für seine Schwester und sich selbst zu machen. Wenn er dann den Steg hinunterging, bibbernd, das Handtuch um die schmalen Schultern, dann hörte er sie sprechen:
So toll gemacht … wie ein Delfin … wirst immer besser … irgendwann Weltmeisterin, wenn du nur fleißig weiter übst …
Je weiter er sich entfernte, desto leiser wurden ihre Stimmen, doch in seinem Kopf waren sie nie leiser geworden. Da drinnen fanden sie eine Nische, in der sie sich festsetzen konnten, und von dort funkten sie wie ein Notrufsender auf hoher See ihre Signale, die niemals verstummten.
Ihn lobten sie fast nie. Okay, Siiri schwamm für ihr Alter schnell, und irgendwann würde sie ihn vielleicht sogar einholen, aber noch war er der Schnellere, außerdem konnte er unglaublich lange tauchen. Das Luftanhalten hatte er immer und überall trainiert, nicht nur unter Wasser. Falls ihn je eine Schlingpflanze hinunterziehen sollte,

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