Wassermanns Zorn (German Edition)
aber zumindest war sie nicht in die Arbeitslosigkeit abgerutscht. Und auch wenn es hart gewesen war und sie oft an sich gezweifelt hatte, hatte sie nie an eine Rückkehr in den alten Job gedacht. Dieser Grabstein war Warnung genug.
Und jetzt?
So kurz vor dem Ziel?
Ihr Traum stand auf der Kippe. Lavinia musste sich entscheiden.
«Ich hätte das so gern mit dir zusammen gemacht», sagte sie, während sie einen trockenen Erdklumpen zwischen ihren Fingern zerbröseln ließ. Sie stellte sich vor, jedes Sandkorn enthielte etwas von Susan.
Was hätte Susan wohl getan? Susan mit ihrem unerschütterlichen Optimismus, um den sie sie immer beneidet hatte. Lavinia machte sich immer Gedanken und wartete ab, aber Susan war vorangeschritten, hatte das Heft in die Hand genommen und die Welt erobert.
Als sie sich schließlich erhob, hatte sie ihre Entscheidung getroffen.
8
Mittags hatte Eric Stiffler die Mitarbeiter für seine «Mordkommission Ufer» zusammen. Sie würden sich in einer Stunde für ein erstes Briefing im Besprechungsraum einfinden. Er war mit seiner Auswahl zufrieden, fühlte sich aber trotzdem merkwürdig leer und erschöpft. Am liebsten wäre er in die nächste Kneipe gegangen, um sich dort mit billigem Fusel den Kopf frei zu saufen.
Das alles kotzte ihn so sehr an. Und es kostete Kraft, die er eigentlich nicht mehr hatte. In acht Jahren konnte er in den vorzeitigen Ruhestand gehen, aber die Zeit bis dahin kam ihm so unglaublich lang vor.
Eric beugte sich vor und zog die unterste Schublade des Schreibtisches auf. Hinter den Hängemappen lag eine flache Flasche aus Edelstahl. Er holte sie hervor, drehte den Verschluss ab und nahm einen kräftigen Schluck Weinbrand. Mit in den Nacken gelegtem Kopf und geschlossenen Augen genoss er, wie sich der Alkohol warm in seinem Bauch ausbreitete. Bevor er noch einen Schluck nehmen konnte, klopfte es an seiner Tür.
Hastig schraubte er den Verschluss zu, versteckte die Flasche und schloss die Schublade.
«Ja.»
Es war die Sperling. Wer sonst?
Sie hielt einige Blätter in der Hand und strahlte übers ganze Gesicht. Ihre Wangen waren leicht gerötet. Wie ein kleines Kind , schoss es Eric durch den Kopf.
Nachdem sie aus der Gerichtsmedizin zurückgekehrt waren, hatte Eric sie damit beauftragt, alle Seen in einem Umkreis von fünfzig Kilometern um den Fundort der Leiche herum ausfindig zu machen. Egal, wie viele es gab, aus allen mussten Proben gezogen und mit dem Wasser aus der Lunge der Toten verglichen werden.
«Schon fertig?», fragte Eric, stützte einen Ellenbogen auf den Schreibtisch und hielt sich die Hand vor den Mund, weil ihm klar war, dass er nach Weinbrand stank.
In ihrer übereifrigen Art blieb die Sperling nicht vor dem Schreibtisch stehen, wie alle anderen es getan hätten, sondern legte die Blätter vor ihm ab und stützte sich direkt neben ihm auf. So nah, dass er ihr Parfum riechen und die feinen Poren in ihrer Gesichtshaut sehen konnte. Eric wagte kaum zu atmen.
Mit einem Kugelschreiber deutete sie auf das oberste Blatt.
«Wir haben exakt zwölf Seen im Umkreis von sechzig Kilometern um den Fundort der Leiche herum. Ich habe noch zehn Kilometer draufgelegt, weil sonst zwei Seen nicht mehr in den Bereich gefallen wären. Bis auf drei sind alle mittelgroß bis klein oder fast schon Tümpel. An zwei der drei großen werden Campingplätze betrieben, es sind also keine besonders ruhigen, abgeschiedenen Orte. Ein weiterer ist im Besitz der Landesfischereibehörde und wird ausschließlich zur Aufzucht von Barschen genutzt.»
«Was nicht bedeutet, dass der Täter sie nicht dort ertränkt hat», unterbrach Eric ihren Redefluss. Er sprach dabei hinter seiner Hand.
«Nee, das nicht», sagte die Sperling und schüttelte ihren Kopf. «Aber ich habe angerufen und erfahren, dass dort Barsche gezüchtet werden, weil das Wasser eben eine ganz bestimmte Qualität hat. Wir werden also ziemlich sicher sagen können, ob er es dort getan hat oder nicht. Ich habe auch bei den beiden Campingplätzen angerufen, um herauszufinden, ob die Seen als Tatorte in Frage kommen. Das ist aber unwahrscheinlich, weil die Camper vom Campingplatz aus ohne weiteres das gesamte Ufer einsehen können.»
«Auch nachts?»
«Viele sind auch nachts da, ja.»
«Ich meinte, ob diese Leute auch nachts so gut gucken können.»
Die Sperling warf ihm einen irritierten Blick zu.
«Äh, nein, schätze ich.»
Eric nickte.
«Hab ich mir gedacht. Sie ahnen ja wahrscheinlich, was jetzt zu tun
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