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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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übrig, als ihr zu folgen. Und er musste es herausfinden. Gerade jetzt durfte nichts Unvorhergesehenes passieren.
    Er stieß eine Passantin an, eine runde alte Frau, die nicht einmal ins Wanken geriet, ihn aber beinahe zu Fall brachte. Sie drehte sich zu ihm um, ihr Gesicht war das einer Bulldogge. Sie war auf Streit aus, das konnte er sehen, doch noch ehe sie den Mund aufmachen konnte, war er schon weitergelaufen und mischte sich unter die Menschen.
    Durch den Zwischenfall hatte er sie aus den Augen verloren. Er lief weiter, sah sich hektisch um, suchte nach blondem Haar.
    Da!
    Sie stand an einer Fußgängerampel, die gerade zu Grün wechselte. Sie ging los, und er folgte ihr. Als ihm klar wurde, welche Richtung sie einschlug, wurde er schlagartig ruhiger.
    Jetzt wusste er, wohin sie wollte.
    An diesem Ort liefen die Fäden zusammen.
    Seine und ihre.

7
    Ihr Grabstein war schlicht, grau und klein, kleiner als alle anderen in der unmittelbaren Umgebung. Aber darauf kam es nicht an. Der Name war in den glattpolierten Marmor eingraviert, in schöner geschwungener Schrift, die etwas Verspieltes hatte, so wie auch ihr Charakter gewesen war. Darunter stand ihr Geburts- und Todestag. Dieser Stein, groß oder klein, billig oder teuer, bewies, dass sie geliebt worden war. Jemand bewahrte ihr Andenken.
    Susan Hoffmann.
    Lavinia hatte die Beerdigung und den Grabstein bezahlt, weil niemand sonst sich für Susan verantwortlich gefühlt hatte.
    Vor drei Jahren war Lavinias Leben mit einem Schlag in jeder Hinsicht halbiert worden. Die Hälfte ihrer Ersparnisse verschwand, die Hälfte ihres gemeinsamen Traumes und auch die Hälfte einer Freundschaft, die für Lavinia überlebenswichtig gewesen war. Angst, Trauer und Mutlosigkeit hatten sich dagegen verdoppelt, und der Weg zum Ziel schien unendlich lang. Noch Wochen nach der Beerdigung hatte Lavi nicht mehr daran geglaubt, es jemals erreichen zu können.
    Aber sie hatte ihren Glauben wiedergefunden. Stück für Stück, mit jedem Besuch auf dem Friedhof ein bisschen mehr. Denn unter Susans Namen und der Zeile mit den Zahlen war noch ein weiterer Schriftzug eingraviert.
    Taormina – für dich.
    Damals, beim Steinmetz, hatte Lavinia die drei zusätzlichen Worte, ohne zu überlegen, aus einem plötzlichen Bauchgefühl heraus mit auf das Auftragsformular geschrieben. Im Nachhinein hatte es sich als absolut richtig erwiesen, denn sie hätte in dieser Zeit der Angst und schwindenden Kraft ihren gemeinsamen Traum vergessen, hätte der Grabstein sie nicht immer wieder daran erinnert.
    Taormina – für dich.
    Schon wieder liefen ihre Tränen. Sie war eine richtige Heulsuse heute.
    Vorhin, als Lavinia aus dem Laden gestürmt war, waren es noch Tränen der Wut gewesen. Seit die Kropf vor drei Monaten als neue Filialleiterin angefangen hatte, war sofort klar gewesen, dass sie beide nicht miteinander auskommen würden. Aber Lavinia hatte sich zurückgehalten. Für ihren Traum von Taormina war sie bereit gewesen, die täglichen Ungerechtigkeiten und fiesen Spitzen zu ertragen. Sie hatte sich vorgenommen, daran zu wachsen und stärker zu werden und auf gar keinen Fall die blöde Kropf den Kampf gewinnen zu lassen.
    Und jetzt war es doch so gekommen.
    Denn was sich im ersten Moment wie ein Sieg angefühlt hatte, war doch nichts weiter als eine Niederlage. Sie hatte keinen Job mehr, so einfach war das. Dabei hätte sie nur noch ein Jahr durchhalten müssen, um die zwanzigtausend Euro beisammenzuhaben. Mit weniger wollte sie den Absprung nicht wagen. Zu groß war die Gefahr, keine Finanzierungszusage von der Bank zu bekommen.
    Ein verfluchtes Jahr noch.
    Lavinia wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Sie ließ sich vor Susans Grab auf die Knie fallen, streckte die rechte Hand aus und fuhr mit dem Zeigefinger über die Vertiefungen des Schriftzuges, so wie sie es schon Dutzende Male zuvor getan hatte.
    «Was soll ich jetzt tun?», flüsterte sie. «Einfach abhauen oder doch noch einmal für ein halbes Jahr in den alten Job zurück und dann nach Taormina? Kannst du mir nicht ein kleines Zeichen geben? Ich könnte wirklich Hilfe gebrauchen.»
    Nach Susans Tod war Lavinia ausgestiegen. Da es ihr eigener Escort-Service gewesen war, konnte sie das tun. Aber der plötzliche Geldmangel war ein Problem. Zunächst hatte sie einen Job als Kassiererin in einer Tankstelle angenommen. Das war mies bezahlt, sicherte aber Miete und Essen. Der Job in dem Billigklamottenladen war nicht besser,

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