Wassermanns Zorn (German Edition)
stimmte, er ging lieber auf Nummer sicher, bevor er sich in eine ungeklärte Situation begab. Und immerhin war er auf diese Weise nie im Dienst verletzt worden und hatte auch nicht auf Menschen schießen müssen. In diesem Beruf durfte man Mut nicht mit Dummheit verwechseln, wenn man seine Pensionierung erleben wollte.
Hier wartet ein Geschenk für dich, Stiffler.
Warum lockte der Kerl ihn ausgerechnet hierher? Welche Verbindung hatte er zu diesem Friedhof? Eric konnte sich nicht erinnern, je hier gewesen zu sein. Im Laufe seiner Dienstjahre hatte es mehr als genug Fälle gegeben, die in letzter Konsequenz mit dem Tod zu tun gehabt hatten. Täter hatten sich selbst gerichtet, waren im Gefängnis gestorben, Angehörige hatten sich aus Verzweiflung umgebracht und so weiter, und so fort. Die meisten dieser Geschichten hatte er längst vergessen, und ganz bestimmt erinnerte er sich nicht daran, wo die Opfer beerdigt …
Der Gedanke schlug ein wie ein Blitz.
Verflucht. Warum war er nicht früher darauf gekommen?
Sie badet, Stiffler … sie badet …
In seinem Kopf kreisten die Gedanken, alles geriet durcheinander, die wässrige Stimme des Anrufers quakte dazwischen, Annabells weißes Gesicht tauchte zwischen dem Treibgut auf, der Schriftzug auf ihrem Bauch, die Badewanne in ihrer Wohnung … die Badewanne! War sie das verbindende Element?
Eric lief ein Stück den Weg hinunter. Hinein in einen Fleck hellen Sonnenlichts, in dem es warm und behaglich war, aber nicht sicher. Erst im Schatten blieb er wieder stehen und suchte zwischen den Grabreihen nach einer Bewegung.
Seine Augen begannen zu tränen, der Zeigefinger am Abzug der Waffe zu zittern, sein Herz schlug rasend schnell. Eric fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und schüttelte den Kopf.
Das hatte doch keinen Sinn.
Es sei denn …
Er holte sein Handy hervor und rief den Beamten beim Landeskriminalamt an.
«HK Stiffler hier. Ist das Handy noch eingeschaltet?»
«Ja, und es befindet sich noch im selben Bereich.»
«Okay, danke.»
Eric beendete das Gespräch, nur um sofort eine andere Nummer zu wählen. Die von Annabell.
Mit dem Handy am Ohr und der Waffe in der Hand lief er zwischen den Grabreihen entlang. Wenn er Glück hatte und es nicht stumm geschaltet war, würde er das Läuten hören, bevor der Wassermann abnahm.
Aber er nahm nicht ab, und auch die Mailbox sprang nicht an.
Als Eric schon auflegen wollte, hörte er das Läuten doch noch.
Es klang weit entfernt. Er ging dem Geräusch nach, lief einen langen geraden Weg hinunter, blieb stehen, lauschte, bog nach links ab, sprang über einige Gräber, stolperte beinahe an einer Grabeinfassung, kam dem Geräusch aber schnell näher. Eine alte Dame beäugte ihn misstrauisch, sah aber nicht die Waffe in seiner Hand.
Schließlich war das Läuten ganz nah.
Er fand das Handy auf der flachen Oberkante eines schlichten, grauen Grabsteins.
Er trug die Inschrift, die er erwartet hatte. Dennoch war der Anblick wie ein Schlag, der ihn ächzend einknicken und nach Luft ringen ließ.
13
Stiffler war ganz schön arrogant. Wer so viele Lorbeeren im Laufe seiner Karriere eingeheimst hatte, musste doch gelassen und großzügig sein können mit Frischlingen wie ihr. Aber offenbar hatte er für Frauen bei der Polizei nichts übrig. Das hatte er natürlich nicht gesagt, doch die Art und Weise, wie er sie zurechtwies, sie unterbrach und ihre Arbeit abwertete, sprach Bände.
Noch hatte sie keinen Kaffee kochen müssen für den großen Chef. Noch war sie nicht zum Bäcker hinuntergeschickt worden, um Brötchen für ihn zu holen. Sie war also noch nicht vollends gedemütigt worden, aber Manuela Sperling reichte es auch so schon.
Sie hatte gewusst, dass es nicht leicht werden würde. Ungerechte Herabsetzungen waren Manuela nicht neu, so etwas hatte es an der Akademie auch gegeben. Zwei der älteren Ausbilder dort hatte es sichtlich Spaß gemacht, gerade die Frauen ein wenig härter ranzunehmen. Es wäre zwar schöner gewesen, einen Vorgesetzten mit weniger altmodischem Weltbild zu bekommen, aber Manuela würde schon mit ihm fertigwerden. Auch wenn er sie nervte.
Im Präsidium fand gerade die erste Besprechung der Mordkommission Ufer statt, und sie war nicht dabei. Stattdessen musste sie durch diese gottverlassene öde Gegend fahren und Wasserproben einsammeln.
Entgegen Stifflers Anweisung tat sie es aber nicht allein. Nach ihrem Gespräch hatte sie sich schon damit abgefunden, zwei Tage draußen in der
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