Wassermanns Zorn (German Edition)
ausgedehnten Waldgebiet abgelöst wurde. Hier draußen gab es nicht viel mehr als Natur und hie und da mal einen landwirtschaftlichen Betrieb. Das sah zwar alles nett aus, aber sie als Großstadtkind fühlte sich zwischen Menschen wohler. Die Weite und Leere hier schlugen ihr irgendwie aufs Gemüt.
Diesmal bog sie richtig ab und fand nach zwei Kilometern die Abzweigung Richtung See. Ein Hinweisschild für den Campingplatz wies den Weg.
Die schmale Teerstraße führte zwischen hellgrün belaubten Birken hindurch, die alle schief Richtung Osten standen, weil der ständige Westwind sie gebeugt hatte. Eine Stromleitung führte an alten, schwarz geteerten Masten die Straße entlang. Jenseits der tiefen Entwässerungsgräben begannen rechts und links Maisfelder, die sich bis an den Wald erstreckten. Noch stand der Mais nur hüfthoch, aber Manuela konnte sich gut vorstellen, wie einsam man sich im Herbst zwischen diesen Feldern vorkommen musste.
Warum ertränkte der Täter die Frau in einem See, deponierte sie dann aber aufwendig in einem Fluss? Warum hatte Stiffler sich nicht zu dem eingebrannten Schriftzug auf dem Bauch des Opfers geäußert? Wer hatte ihn angerufen und auf die Leiche aufmerksam gemacht, und warum ausgerechnet ihn?
All das wurde sicher gerade in dem Meeting besprochen, an dem sie nicht teilnehmen durfte. Stattdessen holte sie sich hier draußen nasse Füße und musste sich von Mücken zerstechen lassen.
14
«Moment.»
Oberkommissar Peter Nielsen von der Sitte hob die Hand, als wolle er den Verkehr stoppen.
«Das brauche ich noch einmal im Klartext. Du hast also mit dem Opfer sexuell verkehrt.»
Nielsen war unverheiratet, siebenunddreißig Jahre alt und damit der Jüngste in der Gruppe. Er hatte halblanges, strohblondes Haar, das sich an den Enden zu kleinen Locken aufrollte, wache blaue Augen mit tiefen Lachfalten in den Winkeln, er war stets gut gebräunt und immer für einen Scherz zu haben. Sein Gesicht war einnehmend, fast schon charismatisch. Er war ein Draufgänger, der nur für seinen Job und seine Harley lebte, die Unsummen verschlang und von der er gern und ausführlich erzählte. Aus ihrer gemeinsamen Zeit bei der Sitte wusste Eric, dass Nielsen ein konsequenter und erfahrener Ermittler war, und an ihm führte kein Weg vorbei.
Eric Stiffler hatte es hinter sich gebracht und seine drei handverlesenen Kollegen eingeweiht. Allerdings hatte er es nicht so ausgedrückt wie Nielsen, sondern Ausdrücke wie «gekannt» und «privat» benutzt.
Eric fixierte seine Kollegen. Erst Roland Petrie, dann Rolf Habermann und schließlich Peter Nielsen. Keiner wich seinem Blick aus, und zu seiner Erleichterung konnte er keinen Vorwurf, sondern allenfalls Schadenfreude und Belustigung darin entdecken. Auf der Liste der für die Bildung einer Mordkommission in Frage kommenden Beamten des Präsidiums standen fünfzehn Namen, und er hatte sich diese drei Männer ausgesucht, weil er hoffte, sie würden ihn verstehen. Zumindest von Nielsen wusste Eric sicher, dass er ebenfalls schon bei einer Prostituierten gewesen war, außerdem verkehrte er als Beamter bei der Sitte beruflich in diesen Kreisen.
Eric hielt ihrem Blick stand. Er konnte es sich nicht leisten, verschämt zu Boden zu schauen, denn er war der Leiter dieser Mordkommission. Die Männer mussten von ihm geführt werden, und das funktionierte nur, wenn die Rangordnung klar war.
Er hatte ihnen berichtet, dass der Täter ihn mehrmals mit dem Handy des Mordopfers angerufen hatte, zuletzt vom Zentralfriedhof aus. Diese Tatsache konnte er auf lange Sicht ohnehin nicht geheim halten. Seinen Alleingang erklärte er mit der schnellen Ortung durch das LKA und dem Zeitdruck. Auf Habermanns Frage, was der Täter in dem letzten Gespräch gewollt hatte, hatte Eric mit den Schultern gezuckt und gesagt:
«Vielleicht wollte er nur herausfinden, wie schnell wir das Handy orten können.»
Er verschwieg, dass ihn der Wassermann ganz bewusst dorthin, zu diesem bestimmten Grabstein, gelockt hatte, damit er dort Annabells Handy fand. Jetzt lag es abgeschaltet im Handschuhfach seines Wagens. Bei passender Gelegenheit würde er es entsorgen. Die Absicht des Wassermanns war klar: Er wollte ihn auf Trab halten und ans Messer liefern. Eric musste höllisch aufpassen, keinen Fehler zu machen, vor allem aber durfte er nicht weiterhin nur reagieren.
Er musste die Sache in den Griff bekommen.
«Richtig», antwortete er auf Nielsens Frage und sah ihn an, ohne mit der Wimper zu
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