Wassermanns Zorn (German Edition)
machte sie auch noch richtig nervös.
Ihre Füße wippten im Takt von Marlon Roudettes New Age , das sie seit ein paar Tagen nicht aus dem Kopf bekam, die Finger jagten über die Tastatur, als gelte es, ein Wettrennen zu gewinnen. Sie hatte das dringende Bedürfnis, aufzustehen und herumzulaufen. Wäre sie allein gewesen, hätte sie es auch getan, aber so blieb sie an dem alten, abgestoßenen Schreibtisch sitzen und starrte auf den noch älteren Röhrenmonitor.
Es hatte wehgetan, von Stiffler vor den versammelten Kollegen lächerlich gemacht zu werden.
Stiffler war sauer gewesen, weil sie seine Anweisung missachtet und einen Schutzpolizisten damit beauftragt hatte, ihr beim Wasserprobensammeln zu helfen. Aber warum? Sie allein loszuschicken konnte man fast schon als Verschleppung der Ermittlungen bezeichnen. Es war doch ungeheuer wichtig, so schnell wie möglich den Tatort zu finden. Stiffler handelte nicht rational, und Manuela begriff nicht, warum seine Kollegen das nicht genauso sahen und etwas dagegen unternahmen oder wenigstens protestierten. Mit Ausnahme von Nielsen vielleicht, dem das kindische Verhalten der anderen offenbar auch auf die Nerven gegangen war.
Sie hätte gern mit jemandem darüber gesprochen, aber sie wagte es nicht, die Hackordnung zu übergehen. Kurz war sie drauf und dran gewesen, zu Nielsen zu gehen, aber er würde sicher eher auf einen alten Kollegen hören statt auf sie. Vielleicht waren er und Stiffler sogar gut befreundet, was wusste sie denn schon? Nein, sie musste sich zurückhalten.
Da niemand etwas von ihr wollte, hatte sie begonnen, sich mit den alten Prostituiertenmorden zu beschäftigen. In den vergangenen zwei Stunden war sie tiefer in die alten Akten eingetaucht, und siehe da: Stifflers Name stand in einem Ermittlungsprotokoll.
Manuela druckte es aus und wollte es gerade lesen, da klingelte ihr Handy.
Die Nummer im Display kannte sie nicht, aber es war keiner ihrer privaten Kontakte. Und im Präsidium hatte noch kaum jemand ihre Nummer.
Es war das Labor.
«Frau Sperling, es geht um die Wasserproben, die Sie uns gebracht haben», sagte die Frauenstimme.
«Ja, ich weiß. Haben Sie schon eine Übereinstimmung gefunden?»
«Ich bin gerade erst mit der dritten Probe durch, schneller geht es leider nicht. Deshalb dachte ich, ich rufe Sie schon jetzt an, um Ihnen zu sagen, dass die dritte Probe mit dem Wasser aus der Lunge des Opfers eine hohe Übereinstimmung aufweist.»
«Wie hoch genau?»
«Wir haben noch nicht alle Proben analysiert, es kann also sein, dass eine andere Probe eine noch höhere Übereinstimmung aufweist, aber bei Probe Nummer drei liegt die Übereinstimmung bei achtzig Prozent.»
«Ist das denn viel?», fragte Manuela, die mit Laborergebnissen überhaupt keine Erfahrung hatte.
«Na ja, wir haben es hier mit Gewässern zu tun, die alle aus dem gleichen Grundwasser gespeist werden. Sie sind sich also sowieso sehr ähnlich. Ausschlaggebend sind deshalb Faktoren wie Verschmutzung durch Fäkalien oder landwirtschaftliche Einleitungen oder bestimmte mikrobiologische Lebewesen. Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet, sind achtzig Prozent schon sehr deutlich. Ich hätte sonst nicht so früh angerufen.»
«Ich danke Ihnen. Vielen Dank. Sie haben mir sehr geholfen.»
Manuela beendete das Gespräch und steckte ihr Handy ein, holte die zusammengefaltete Karte aus ihrer Handtasche und breitete sie auf dem Schreibtisch aus. Proben Nummer eins bis sechs hatte der Kollege von der Schutzpolizei gesammelt, sie war selbst also nicht an diesem See gewesen, hatte aber die Beprobungsnummern auf der Karte eingetragen. Nummer drei war einer der kleinen Seen. Er lag mitten in dem Sechzig-Kilometer-Radius, keine halbe Stunde Fahrtzeit von der Innenstadt entfernt.
Manuela faltete die Karte zusammen und wollte das Büro schon verlassen, als ihr etwas einfiel. Sie kehrte an ihren Schreibtisch zurück, nahm die vier Seiten des ausgedruckten Ermittlungsprotokolls, faltete auch diese zusammen und steckte sie in die hintere Gesäßtasche ihrer Jeans. Dann verließ sie das Großraumbüro, lief eilig den Gang hinunter und klopfte an die Tür zu Stifflers Büro.
Keine Reaktion.
Sie klopfte noch einmal.
Warten konnte Manuela nicht gut, das war schon immer so gewesen. Warten war ihr ein Gräuel, gerade wenn in ihrem Inneren alles in Aufruhr war. Deshalb ließ sie kaum mehr als ein paar Sekunden verstreichen, bevor sie die Klinke niederdrückte, nur um festzustellen, dass die Tür
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