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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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als die Wasserproben. Ich werde die Akten jetzt sofort durchgehen, alle anderen Aufgaben sind ja verteilt, also schlage ich vor, wir legen los.»
    Stiffler hatte es offenbar sehr eilig, diese Besprechung zu beenden, aber so einfach wollte Manuela sich nicht abfertigen lassen. Nicht jetzt, wo es interessant wurde.
    «Was ist mit dem Handy?», fragte sie, bevor jemand das Büro verlassen konnte.
    «Welches Handy?»
    «Na, das vom Opfer natürlich.»
    «Was soll damit sein?», fragte Stiffler. «Es wird überwacht. Sobald es eingeschaltet wird, bekommen wir ein Bewegungsprofil. Das kennen Sie doch. Oder haben Sie sich auf der Akademie lieber mit glazialen Entwässerungsrinnen beschäftigt?»
    Dafür erntete Stiffler von Habermann einen Lacher. Petrie erhob sich, schlug sich auf die Schenkel und murmelte etwas wie: «Dann wollen wir mal.» Nielsen stieß sich von der Wand ab, gegen die er sich gelehnt hatte.
    «Gut gemacht», flüsterte er Manuela im Vorbeigehen zu.
    Sie stand vor der Landkarte und starrte den Männern beim Verlassen des Büros hinterher. Sie fühlte sich überfahren und gedemütigt, und daran änderte auch Nielsens anerkennende Bemerkung nichts.

19
    «Es ist, als wäre ich in meinem Körper lebendig begraben.»
    Lavinia bekam eine Gänsehaut. Sie wollte die Tür aufstoßen und das Taxi verlassen, gleichzeitig aber auch ihre Hand ausstrecken und Frank abermals berühren, ihn auffordern, darüber zu sprechen, denn sie spürte, dass er das viel zu lange nicht getan hatte – vielleicht sogar noch nie.
    Sie unterdrückte ihren Fluchtimpuls und legte ihre Hand auf seinen Oberschenkel.
    «Erzähl bitte», sagte sie.
    Er blickte auf ihre Hand hinab.
    «Schon allein deine Berührung ist in der Lage, eine Kataplexie auszulösen.»
    Ruckartig zog Lavinia ihre Hand zurück, und der Fluchtreflex war wieder da, stärker noch als zuvor.
    «Tut mir leid, das wusste …»
    «Schon in Ordnung. Zum Glück passiert es nicht allzu oft. Ich habe gelernt, Situationen zu meiden, die sie auslösen können.»
    Lavinia fragte sich, wie einsam dieser Mann sein musste, wenn schon eine harmlose Berührung in ihm etwas auslösen konnte, was dem Gefühl nahekam, lebendig begraben zu sein.
    «Im Lehrbuch steht, dass es sich bei einem kataplektischen Anfall um den vollständigen Verlust des Muskeltonus handelt. Einzelne Muskelpartien, manchmal auch die komplette Muskulatur, sind dann außer Gefecht gesetzt. In der Realität fühlt es sich aber ganz anders an. Möchtest du eine kleine Geschichte dazu hören?»
    Lavinia nickte und bemühte sich, ehrlich auszusehen. Eigentlich wollte sie nichts mehr über ein so schreckliches Thema hören. Aber jetzt war sie an der Reihe, ihm beizustehen.
    «Sie ist aber nicht schön», sagte Frank, als hätte er ihre wahren Gedanken erraten.
    «Erzähl sie trotzdem. Ich bin nicht aus Wachs, glaub mir.»
    «Ja, das habe ich sofort gemerkt.» Er lächelte und fuhr fort: «Meinen Opa habe ich geliebt wie keinen zweiten Menschen. Da mein Vater als Soldat selten zu Hause war und meine Mutter immer dazuverdienen musste, bin ich praktisch bei meinen Großeltern aufgewachsen. Mein Opa war einer dieser Männer, die alles können. Ein genialer Handwerker, dem keine Arbeit zu schwer war. Er hat für mich alles Mögliche gebaut: Baumhäuser, Schaukeln, Möbel, coole Fahrräder, alles. Aber er war rastlos, konnte nicht still sitzen und hat sich nie Ruhe gegönnt.
    Im Februar gingen mein Opa und ich in den Wald, um Feuerholz zu holen. Wir heizten mit vier Kachelöfen und brauchten Unmengen an Holz, die jeden Winter geschlagen werden mussten. Ich liebte es, mit meinem Opa in den Wald zu gehen. Nur wir beide, ausgestattet mit Kettensägen, Helmen, Handschuhen und einem Korb mit Broten und heißem Tee.
    Mein Opa war in jenem Winter einundachtzig Jahre alt, packte aber immer noch genauso an wie ich.
    Irgendwann legten wir eine Pause ein. Wir saßen uns gegenüber auf zwei gefällten Baumstämmen, zwischen uns der Fresskorb, den meine Oma für uns gepackt hatte. Wir aßen die Brote und tranken den heißen Tee, und ich erinnere mich noch, wie glücklich ich war. Ich wusste damals noch nicht, was dieses Gefühl auslösen kann, denn ich hatte zuvor noch nie eine Kataplexie.
    Während des Essens riss mein Opa plötzlich die Augen auf, fasste sich an den Brustkorb und fiel nach vorn. Zwei Meter von mir entfernt blieb er auf dem Rücken liegen und schnappte nach Luft.
    Ich bekam eine wahnsinnige Angst und wollte ihm

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