Wassermanns Zorn (German Edition)
eine Ente auf, hob dann ab und verschwand hinter der nächsten Uferzunge.
Die Frau ging sofort unter, und ganz so, wie er es sich vorgestellt hatte, erwachte sie. Sie schlug mit Armen und Beinen um sich, kämpfte sich an die Wasseroberfläche zurück, schrie, prustete, schluckte Wasser und ging wieder unter. Mit wilden und panischen Bewegungen entfernte sie sich schnell vom Ufer.
Er konnte sich vorstellen, was sie empfand. Eben noch hatte sie geträumt, vielleicht sogar einen wunderschönen Traum, und im nächsten Moment waren da nur noch Kälte und Wasser. Wasser im Mund, in der Nase, in den Ohren, überall Wasser, und dann kam die uralte Angst vorm Ertrinken. Sie wusste nicht, wo sie war, oben und unten, rechts oder links, alles war gleich, und ihre Todesangst wurde zur Panik.
Wer panisch wurde, ertrank. So einfach war das.
Seelenruhig sah er dabei zu, wie sie sich Meter für Meter vom Ufer entfernte. Endlich schaffte sie es, den Kopf aus dem Wasser zu heben. Ihre Arme schlugen wie Windmühlenflügel auf die Wasseroberfläche. Sie stieß einen gellenden Schrei aus, der weit über den See schallte.
Schon früher hatte er hin und wieder den Frauen bei ihrem Todeskampf zugesehen, aber bei keiner war das Gefühl der Befriedigung so stark gewesen wie bei Stifflers Frauen. Sie starben für seine Rache, und das machte es so viel bedeutsamer, als wenn er sich, wie in den letzten Jahren, einfach irgendwelche Mädchen aussuchte, zu denen er keinerlei Beziehung hatte.
Er lächelte. Hiervon würde Stiffler sich nicht erholen. Schon bald würde die Spur, die er in der anderen Nutte hinterlassen hatte, Stiffler hierherführen, und dann erwartete ihn ein Geschenk, mit dem er nicht rechnete. Nicht rechnen konnte. Wie gut es sich anfühlte, den Hass in seinem Inneren zu füttern! Es kam dem Tanz unter Wasser sehr nahe.
Er nahm seine Tauchmaske, benetzte sie, setzte sie auf und schritt ins Wasser.
Ohne ein Geräusch glitt er hinein, tauchte unter und schwamm mit kräftigen, weit ausholenden Bewegungen zu ihr herüber.
Der Tanz konnte beginnen.
24
«Sollten wir nicht die Spurensicherung mitnehmen?», fragte Manuela unbehaglich.
Sie saß auf dem Beifahrersitz des schwarzen Mercedes, den Eric Stiffler fuhr, und brach mit ihrer Frage das Schweigen, das zwischen ihnen herrschte, seit sie die Stadtgrenze hinter sich gelassen hatten.
«Um was zu tun? Sollen die Jungs den kompletten See absperren und das Wasser untersuchen? Wir schauen uns erst einmal selbst um. Finden wir etwas, können wir die Kollegen immer noch verständigen.»
«Nach rechts», wies Manuela ihn an, als sie eine T-Kreuzung inmitten freier Natur erreichten. Als einziger Hinweis auf Zivilisation wuchs hinter einem Eichenhain eine Windradkolonie aus dem Boden. Die langen weißen Rotorblätter schnitten durch die Luft wie scharfe Messer. Am Horizont ballten sich dunkle Wolkenberge. Es war einsam und ein wenig unheimlich hier draußen, und obwohl sie Stifflers Gesellschaft nicht besonders schätzte, war Manuela doch froh, nicht allein unterwegs zu sein.
Sie fragte sich, ob sie Stiffler jetzt auf das Ermittlungsprotokoll ansprechen sollte, das in der Gesäßtasche ihrer Jeans steckte. Sie hatte ihm den See auf der Karte gezeigt, und er hatte sie ganz eigenartig angeschaut. Diesen Blick würde sie so schnell nicht vergessen – so schauten die Psychopathen in den Filmen, wenn sie gerade eine mörderische Entscheidung trafen. Auch deshalb hatte Manuela ihn lieber nicht auf einen alten Fall aufmerksam gemacht, an den er selbst hätte denken müssen.
Der Mann wurde ihr langsam unheimlich. Vielleicht sollte sie lieber die Klappe halten. Sie könnte doch damit beginnen, das umzusetzen, was sie sich am Vormittag vorgenommen hatte: nicht immer alles herauszuposaunen, was in ihrer Rappelkiste vorging. Es würde sich schon noch ein anderer, besserer Zeitpunkt finden. Vielleicht war Stiffler auch nicht der richtige Ansprechpartner in dieser Sache.
«Da vorn müsste ein Kreisel kommen. Die zweite Ausfahrt», sagte sie nach einem Blick in die Karte.
Ohne zu antworten, befolgte Stiffler ihre Anweisung.
Andererseits war es Manuela nicht gewohnt, dass jemand so mit ihr umging, und sie konnte die Spannung kaum noch ertragen. Vielleicht sollte sie es mit einem klärenden Gespräch versuchen? Das war immer gut. Auch ein wortkarger Mensch wie Stiffler würde sich seiner heilsamen Wirkung nicht entziehen können.
«Haben wir beide eigentlich ein Problem miteinander?», fragte
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