Wassermanns Zorn (German Edition)
dorthin, wo das Wasser nicht so aufgewühlt war, doch es trug die Geräusche zu ihm, veränderte sie dabei, ließ sie sanfter und gleitender klingen, ähnlich dem Gesang der Wale, wie er ihn im Mittelmeer gehört hatte.
Ein schöneres Geräusch gab es nicht. Nicht außerhalb des Wassers.
Übermütig wie ein spielender Delfin schlug er eine Rolle, tauchte tiefer hinab, schraubte sich ins Dunkel, beobachtete die schlangenhaften Bewegungen der Schlingpflanzen am Grund, näherte sich ihnen aber nicht, sondern drehte sich im Kreis, presste die Arme an die Seiten und schlug mit den Beinen aus.
Zwanzig Meter hinter ihr tauchte er schließlich langsam und geräuschlos auf, spie ein wenig Wasser aus, füllte die Lunge mit frischer Atemluft und beobachtete die Frau.
Sie hatte sich etwas beruhigt und versuchte, mit jämmerlichen Schwimmbewegungen zurück zum Ufer zu gelangen. Das gefiel ihm. Sie wusste nicht, wie sie ins Wasser gekommen war, spürte aber fraglos seine Anwesenheit und die Gefahr, die er darstellte. Und jetzt schöpfte sie Hoffnung, sie glaubte, ihm entkommen zu sein. Einem Menschen im Augenblick größter Erleichterung und Euphorie seine Hoffnung zu nehmen – das war schlimmer, als ihn zu töten.
Er tauchte unter. Schon nach wenigen Zügen sah er im trüben Wasser ihre nackten Beine. Sie traten ins Wasser, als führe sie Fahrrad, statt zu schwimmen.
Das vermeintlich sichere Ufer kam immer näher.
Kurz bevor sie mit den Füßen den schlammigen Grund berührte, war er bei ihr, packte sie am linken Knöchel, stieß sich selbst mit beiden Beinen im Schlick ab und zog sie zurück ins offene Wasser.
Ihr verzweifeltes Kreischen konnte er noch hier unten hören, und selbst das Wasser schaffte es jetzt nicht mehr, es wie Gesang klingen zu lassen. Sie wehrte sich, trat mit dem anderen Bein aus, doch sie hatte nichts, woran sie sich festklammern konnte, und gegen seine Zugkraft hatte sie keine Chance. Es war eine Kleinigkeit für ihn, sie zehn Meter weit hinauszuziehen. Erst dort ließ er sie los.
Sofort bewegte sie sich wieder Richtung Ufer.
Er ließ sich tiefer sacken, tauchte in Rückenlage unter sie und schwamm mit ihr mit, unbemerkt von ihr. Ihre Silhouette hob sich im Gegenlicht ab. Es war ein wunderschöner Anblick. Selbst in Panik waren ihre Bewegungen nicht ohne Anmut und Grazie. Das aufgewühlte Wasser umspülte sie. Tausende kleine silbrige Perlen wirkten wie die Schuppen eines Fisches auf ihrer Haut. Wie alle anderen, mit denen er getanzt hatte, machte auch sie erst das Wasser perfekt. Sie kraulte, warf sich von einer Seite auf die andere, riss mit ihren Armen Luftblasen ins Wasser, helle durchsichtige Kugeln in allen Größen, die ihren Körper zu tragen schienen. Sie fand einen Rhythmus, und er bewunderte den Schwung ihrer Hüften und Beine, bewunderte das Spiel ihrer Bauchmuskulatur, die vor Anstrengung ganz hart geworden war.
Er hätte ewig so unter ihr dahinschweben können, doch die Sehnsucht nach dem Tanz wurde größer und größer.
Mit zwei schnellen Zügen war er bei ihr, packte abermals ihr Fußgelenk und zog sie hinunter. Dann presste er ihre Arme gegen ihren Oberkörper und umschlang sie mit seinen eigenen. Ihre Beine klemmte er zwischen seine, sodass sie völlig bewegungsunfähig war. Er legte all seine Kraft in diese Umarmung, drückte zu, so fest er konnte, seine Finger gruben sich tief in ihr Fleisch, und selbst durch den Neoprenanzug hindurch glaubte er ihr Herz schlagen zu spüren. So wie Tänzer und Tänzerin nicht länger zwei Körper waren, sondern eine Gemeinschaft, so verschmolz er mit ihr, und sein eigenes Herz ließ sich auf ihren Takt ein.
Ihr Gesicht war nur Zentimeter von seinem entfernt. Aus grotesk groß erscheinenden, weitaufgerissenen Augen starrte sie ihn an. Sie konnte nicht fassen, was ihr geschah, das war darin deutlich zu sehen. Angst und Panik und die Ahnung vom baldigen Tod.
Gemeinsam sanken sie in die Tiefe.
Sie tanzten.
Sie zuckte mit den Beinen und dem Becken und wandte sich wie ein Aal, konnte sich aber nicht aus seiner Umarmung befreien. Immer weiter quollen ihre Augen aus den Höhlen, sie warf den Kopf hin und her, und ihr schönes langes Haar umrahmte ihr Gesicht wie ein Brautschleier aus Seetang.
«Ung … ung … ung», schallte es durchs Wasser.
Der Gesang einer Sterbenden.
26
Dornenranken verhakten sich in ihrer Jeans und rissen daran, als wollten sie Manuela mit aller Kraft zurückhalten. Dünne Zweige mannshoher Büsche peitschten ihr
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