Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
Vom Netzwerk:
ins Gesicht. Sie sprang über Kaninchenlöcher und trockene Äste und versuchte, nicht die Orientierung zu verlieren. Von der Schranke führte ein Pfad, der kaum noch als solcher zu erkennen war, zum See hinüber. Den See selbst konnte Manuela noch gar nicht sehen, nur das Dickicht, das den Uferbereich umgab.
    Nach zweihundert Metern hatte sie die Hälfte der Strecke zum See geschafft. Sie blieb stehen, lauschte, hörte einen weiteren gellenden Schrei und spurtete wieder los.
    Erst als sie das Wasser durch die Büsche glitzern sah, wurde sie langsamer und blieb schließlich stehen. Die Schreie waren verstummt, aber sie hörte lautes Plätschern irgendwo links von ihr.
    «Sperling, warten Sie!», rief Stiffler von hinten, doch Manuela wartete nicht. Sie lief in die Richtung weiter, aus der sie das Plätschern hörte.
    Im See kämpfte jemand um sein Leben.
    Der Uferbereich war völlig zugewuchert. Das Gras stand hier hüfthoch, und es gab keinen Weg, nur diesen Trampelpfad. Manuelas Blick flog immer wieder zum See hinüber, den sie nur sehen konnte, sobald sich ein Loch im Bewuchs auftat, deshalb übersah sie einen querliegenden Ast und blieb mit dem rechten Fuß daran hängen. Sie machte einen gewaltigen Satz nach vorn, streckte die Arme aus und rollte geschickt ab. Sie holte kurz Luft, rappelte sich wieder auf und lief weiter.
    Wieder diese Schreie. Erst wahnsinnig laut, dann leiser, aber nicht weniger verzweifelt.
    Rechts von Manuela gab es eine freie Stelle zwischen zwei Bäumen. Sie lief darauf zu, duckte sich unter einem armdicken Ast hindurch, schaufelte mit den Händen ein paar Zweige beiseite, verbrannte sich dabei an hohen Brennnesseln, stand dann aber plötzlich direkt am See.
    Sie sah die Frau sofort.
    Sie ruderte fünfzig Meter von ihr entfernt verzweifelt mit den Armen. Sie war vielleicht noch zehn Meter vom Ufer entfernt und wirkte sehr geschwächt.
    Manuelas Gedanken rasten. Wenn sie an dieser Stelle ins Wasser sprang, würde sie ein weites Stück schwimmen müssen, und das auch noch voll bekleidet. Die Frau hielt auf eine Landzunge zu, die einige Meter weit in den See hineinragte. Wenn Manuela dort ins Wasser sprang, könnte sie die Frau mit zwei, drei Schwimmzügen erreichen.
    Also lief sie weiter und traf auf Stiffler, der aus dem Dickicht ans Ufer stolperte.
    «Da lang!», schrie sie ihn an.
    Sie rannte jetzt dicht am Ufer entlang. Ihre Füße sanken knöcheltief ein, und wären die Sneaker nicht fest zugeschnürt gewesen, sie wären ihr von den Füßen gerissen worden. Endlich erreichte sie die Landzunge und sprintete zu ihrem Ende.
    Die Bewegungen der Frau waren bedeutend langsamer geworden. Sie war jetzt so nahe, dass Manuela ihr Gesicht erkennen konnte. Nackte Todesangst verzerrte es.
    Manuela riss die Hände hoch, winkte und schrie:
    «Hierher! Kommen Sie hierher! Ich helfe Ihnen!»
    Stiffler tauchte hinter ihr auf.
    «Gottverdammt!», stieß er aus.
    Die Frau hatte nur noch ein paar Meter bis zum Ufer, aber Manuela wusste, dass sie es nicht schaffen würde. Deshalb warf sie Schuhe und Jacke von sich und riss das Holster herunter. Sie wollte gerade ins Wasser springen, als Stiffler sie an der Schulter packte.
    «Was ist das!», schrie er und deutete mit ausgestrecktem Arm auf den See hinaus.
    «Neiiiiiin», kreischte die Frau.
    Und Manuela traute ihren Augen nicht.
    Die Frau ging nicht unter, sie hielt den Kopf mühsam über Wasser, ruderte wie wild mit den Armen und griff in die Luft auf der Suche nach einem Halt. Aber sie bewegte sich vom Ufer fort.
    «Da muss jemand im Wasser sein», schrie Manuela. «Wir müssen ihr helfen!»
    Stiffler stand schockiert da. Mit ausgestrecktem Arm deutete er aufs Wasser hinaus. Seine Augen waren weit aufgerissen, sein Mund geöffnet, die Unterlippe zitterte. Er sah aus, als hätte er einen Schock erlitten.
    «Kommen Sie!», schrie Manuela ihn an.
    Er schüttelte den Kopf.
    «Sie … Sie dürfen da nicht rein», stammelte er.
    Manuela ließ ihn stehen und hechtete mit einem Kopfsprung ins Wasser.
    Die Temperatur ließ ihr Herz einen Schlag lang aussetzen. Beinahe hätte sie nach Luft geschnappt. Sie tauchte wieder auf, wischte sie sich das Wasser aus den Augen und hielt nach der Frau Ausschau.
    Wo war sie?
    Sie konnte sie nicht mehr sehen. Das Wasser war noch aufgewühlt, die Frau jedoch verschwunden. Sie musste untergegangen sein.
    Manuela trat Wasser und drehte sich nach Stiffler um. Der stand immer noch bewegungslos am Ufer, genau wie sie ihn

Weitere Kostenlose Bücher