Wassermanns Zorn (German Edition)
sie deshalb geradeheraus.
Stiffler warf ihr einen schnellen Seitenblick zu.
«Wie bitte?»
«Habe ich irgendwas falsch gemacht?»
«Es gibt kein Problem», sagte Stiffler, und es klang so, als sei das Gespräch damit für ihn erledigt.
So einfach wollte sie ihn nicht davonkommen lassen.
«Ich habe aber den Eindruck. Warum musste ich zum Beispiel die Wasserproben einsammeln, während das erste Meeting der Mordkommission stattfand?»
«Kritisieren Sie etwa meine Anweisungen?», fragte Stiffler, ohne sie anzusehen.
Er schaltete herunter, kurbelte am Lenkrad und durchfuhr den kleinen Kreisverkehr.
«Nein, ich wüsste nur gern, woran ich bin. Bin ich an den Ermittlungen beteiligt oder nicht?»
«Wenn Ihnen meine Arbeitsweise nicht passt, Frau Sperling, dann können Sie sich gern in ein anderes Fachkommissariat versetzen lassen.»
«Ich will aber bei Mord bleiben.»
«Dann halten Sie sich an die Spielregeln.»
«Und welche sind das?»
«Ganz einfach», sagte Stiffler, und sie konnte an seiner gepressten Stimme hören, dass er innerlich kochte. «Ich leite das Mordkommissariat, Sie sind der Frischling. Ich habe mehr als fünfzehn Jahre Diensterfahrung, Sie gar keine. Deswegen erteile ich die Anweisungen, und Sie befolgen sie ohne Wenn und Aber. Und zwar genau so, wie ich sie erteile.»
«Wie im Mittelalter», murmelte Manuela mehr zu sich selbst vor sich hin.
«Wir sind hier keine große antiautoritäre Familie, bei der über jeden Furz demokratisch abgestimmt wird», sagte Stiffler so laut, dass Manuela zusammenzuckte. «Dies ist eine Polizeidienststelle, hier gibt es nicht ohne Grund Dienstränge und Dienstwege. Das Prinzip funktioniert seit Jahrzehnten sehr gut. Und jetzt kommen Sie daher und wollen es ändern? Mädchen wie Sie bringen erfahrene Ermittler in riskante Situationen. Ich habe schon Kollegen sterben sehen, weil sie sich vor dumme Frischlinge mit großer Klappe stellen mussten, die sich im entscheidenden Moment nicht an Befehle hielten oder die Hosen voll hatten, sobald es drauf ankam.»
Stiffler bog nach links in einen unbefestigten Wirtschaftsweg. Im Wagen herrschte eine Atmosphäre wie im Knast vor einer Prügelei. Die Luft war zum Schneiden dick.
Stifflers Ausbruch hatte auf Manuela allerdings nicht die beabsichtigte Wirkung. Wer laut wurde, hatte meistens unrecht, das kannte sie von ihrem Vater. Aber die Botschaft, die in Stifflers Worten steckte, war überdeutlich: Sie hatte es tatsächlich mit einem dieser Dinosaurier zu tun, die gegen Frauen im Polizeidienst waren. Da lag der Hase im Pfeffer. Es lag nicht an ihrer Person. Sie konnte sich noch so sehr anstrengen, gegen dieses archaische Denken würde sie niemals ankommen.
Stiffler ließ den Mercedes langsam vor einer Holzschranke ausrollen. Wahrscheinlich sollte sie seinen Vorschlag annehmen und den Fachbereich wechseln. Stiffler empfand sie als Eindringling, als Störenfried, er würde sie nie mit Respekt behandeln.
Sie nahm sich vor, während der Zeit, die sie mit ihm hier draußen am See war, nur noch das Nötigste zu sprechen. Sobald sie zurück im Revier waren, würde sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um nicht mehr mit diesem Kerl arbeiten zu müssen.
Der Wagen stand noch nicht ganz, da hatte sie die Tür schon aufgestoßen und stieg aus. Sie war froh, dem engen Wagen entkommen zu sein. Wie sollte sie nur die Rückfahrt überstehen?
Sie atmete tief und versuchte sich zu beruhigen. Musste sie sich das gefallen lassen?
Sie hörte ihn aussteigen und die Tür zuschlagen. Jetzt war auch die Luft hier draußen dick.
«Hören Sie …», begann er.
Manuela wirbelte auf dem Absatz herum und stach mit ihrem Zeigefinger in seine Richtung.
«Wenn Sie …»
Weiter kam sie nicht.
Der gellende Schrei vom Wasser her schnitt ihr das Wort ab.
25
Er schwebte. Die letzten Sonnenstrahlen dieses Tages verzweigten sich, von der Wasseroberfläche gebrochen, in Hunderte Lichtlanzen. Er sah den Himmel das Wasser berühren, sah beide sich miteinander vereinigen, so wie er sich schon bald mit der Frau vereinigen würde. Zum Greifen nah war der Himmel, er musste nur die Hand ausstrecken. Aber das wollte er gar nicht. Sein Himmel war hier unten, im Reich der gedämpften Geräusche, wo ihr Todeskampf klang wie ein lieblicher Gesang.
Es war eine einzigartige Melodie aus glucksenden, platschenden und gurgelnden Geräuschen, immer wieder unterbrochen durch kurze Schreie, sobald sie auftauchte. Er war weiter hinausgeschwommen, von ihr fort,
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