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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Waffe mit beiden Händen umklammert, den kurzen Lauf zu Boden gerichtet, schlich Eric in Richtung des Badezimmers.
    Dabei passte er auf, keinen Gegenstand zu berühren. Soweit er wusste, putzte Annabell regelmäßig, und er konnte nur hoffen, dass sie es nach seinem letzten Besuch auch getan hatte, ansonsten würde es eng für ihn werden, sollte sich die Wohnung als Tatort entpuppen.
    Die Tür zum Bad war ebenfalls nur angelehnt.
    Eric blieb davor stehen, um zu lauschen. Diesmal hörte er etwas: ein leises Tropfen in kurzen, aber regelmäßigen Abständen. Vor seinem geistigen Auge entstand ein Bild. Er sah die ausladende Badewanne, in der er selbst schon gelegen hatte, sah die altmodische Armatur aus Bronzeimitat, von der sich Tropfen lösten, um in die mit rotem Wasser gefüllte Badewanne zu fallen. Sah den wunderschönen Körper darin, die Haut noch bleicher als sonst, weil alles Blut herausgelaufen war und sich mit dem Wasser vermischt hatte.
    Eric stieß die Tür auf.
    Die Wanne war gefüllt mit klarem Wasser. Niemand lag darin.
    Obwohl er hätte erleichtert sein müssen, versetzte ihm der Anblick einen Stich, den er bis tief in seinen Eingeweiden spürte. Wenn Annabell die Wanne nicht selbst gefüllt und später vergessen hatte, den Stöpsel zu ziehen, dann hatte es der Anrufer getan.
    Er wandte sich ab und durchsuchte auch die anderen beiden Zimmer der Wohnung. Annabell war nicht da. Als er wieder im Wohnraum ankam, vibrierte sein Handy.
    Werkstatt ruft an.
    «Du verschwendest Zeit, Stiffler», sagte die wässrige Stimme.
    «Was soll die Scheiße?»
    «Sie badet an eurem Lieblingsplatz unter der Weide, Stiffler, und ich fürchte, du kommst zu spät.»

5
    Das einzige Taxi parkte nicht vor der S-Bahn-Endstation, sondern im Schatten unter den Kastanienbäumen etwa hundert Meter entfernt. Schon als Lavinia sich dem silbernen Škoda mit dem gelben Schild auf dem Dach näherte, konnte sie erkennen, dass der Fahrer schlief. Vielleicht hatte er Pause und stand deshalb nicht auf dem Taxistreifen. Obwohl ihr Budget es nicht hergab und sie die Fahrt später sicher bereuen würde, hatte Lavinia sich entschieden, nicht zu Fuß durch die Flusswiesen zu gehen, sondern ein Taxi zu nehmen. Das hatte sie früher schon ein paar Mal getan, aber bisher nur im Winter, wenn es nach Feierabend bereits dunkel und ihre Angst mal wieder zu groß gewesen war.
    Von der letzten S-Bahn-Haltestelle bis zu dem Haus, in dem sie zur Miete wohnte, war es ein Fußmarsch von fünfzehn Minuten, vorbei an einem Sportplatz, durch den kleinen Rhododendronpark und die Flusswiesen bis in ihr Wohnviertel. Diese fünfzehn Minuten genoss Lavinia in der Regel sehr, denn nach einem Achtstundentag in den Ausdünstungen der Billigklamotten war die frische Luft am Fluss wie eine Offenbarung.
    Doch heute fürchtete sie sich.
    Die Bahnfahrt hatte vierzehn Minuten gedauert. Die Zeit hatte nicht ausgereicht, um sich von dem Vorfall in der Innenstadt zu erholen. Lavinia war immer noch verwirrt und verängstigt. Vor dem Aussteigen aus der Bahn hatte sie ihr Schlüsselbund so in die Faust genommen, dass der längste Schlüssel zwischen Zeige- und Mittelfinger herausragte und als Stichwaffe dienen konnte.
    Erst als sie das Taxi erreichte, ließ sie das Schlüsselbund in ihrer Handtasche verschwinden. Dann pochte sie heftig gegen die Seitenscheibe und riss den Fahrer aus dem Schlaf. Er schoss aus seiner Liegeposition hoch und sah für einen Moment so aus, als wüsste er nicht, wo er sich befand.
    Er ließ das Fenster hinunter.
    «Ich habe eigentlich …»
    «Lassen Sie mich rein, bitte!»
    Er brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um die Türen zu entriegeln.
    Lavinia stieg hinten ein.
    «Fahren Sie», sagte sie und schaute durch das Heckfenster.
    Der Fahrer startete den Motor und fuhr los.
    «Alles in Ordnung mit Ihnen?», fragte er.
    Lavinia wartete ab, bis sie die Haltestelle nicht mehr sehen konnte. Erst dann entspannte sie sich etwas, drehte sich um und sah den Taxifahrer im Rückspiegel an.
    Er war etwa dreißig Jahre alt, hatte volles braunes Haar, eine blasse Gesichtsfarbe mit dunklen Schatten unter den Augen und vielleicht zehn Kilo Übergewicht. Er trug Jeans und ein einfaches schwarzes T-Shirt. Aus dem Rückspiegel blickten Lavinia bernsteinfarbene Augen an. Sie warf einen raschen Blick auf seine rechte Hand, die auf dem Schalthebel ruhte. Er trug keinen Ehering. Der Blick stammte aus ihrem anderen Leben, ein Reflex, den sie nicht mehr abstellen

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