Wassermanns Zorn (German Edition)
schüttelte den Kopf.
«Ich habe ihn aufs Bett gelegt, und da ist er sofort eingeschlafen.»
Manuela räusperte sich und nahm all ihren Mut zusammen.
«Gestern Nacht, nach der Besprechung», begann sie, und sie knetete ihre Hände.
«Was war da?», fragte Nielsen und sah sie aufmerksam an.
«Ich bin noch mal hoch, weil ich meine nasse Kleidung vergessen hatte, und … na ja, er saß noch in seinem Büro … er hatte sich seine Dienstwaffe in den Mund gesteckt.»
So, jetzt war es heraus. Augenblicklich fühlte Manuela sich von einer zentnerschweren Last befreit. Es war, als wäre eine Metallklammer gesprengt worden, die sie seit gestern Nacht am Atmen gehindert hatte.
«Wie bitte?», stieß Nielsen hervor.
«Bevor ich reagieren konnte, hat er sie wieder rausgenommen. Er hat mich auch gar nicht bemerkt.»
Nielsen schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf.
«Danke, dass Sie es mir gesagt haben. Ich weiß das zu schätzen. Könnten Sie das eventuell auch für sich behalten?»
Ihre Blicke trafen sich.
«Sie riskieren ganz schön viel für ihn», sagte Manuela. «Warum?»
«Er war nicht immer so. Es gab eine Zeit, da waren wir gut befreundet. Aber in seiner Ehe ist einiges schiefgelaufen, das hat ihn aus der Bahn geworfen. Dazu kamen dann ein paar berufliche Misserfolge. Wenn man mal eine große Nummer war, ist es schwer, mit weniger auszukommen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will Eric nicht in Schutz nehmen. Was ich damit sagen will, ist, ich kann sein Verhalten nachvollziehen. Es ist schwer, mit ihm auszukommen, aber glauben Sie mir, es liegt nicht an Ihnen. Eric kommt mit sich selbst nicht aus.»
Manuela begann zu begreifen, wie sehr die Ermittler doch voneinander abhängig waren. Funktionierte die Polizei nur so? Blieb sie nur deshalb funktionsfähig, weil das Netzwerk von niemandem in Frage gestellt wurde? Und welche Frage noch viel wichtiger war: Würde sie selbst auch so werden, wenn sie erst lange genug dabei war?
Nach einem kurzen Schweigen sagte Nielsen:
«Ich weiß, was Sie jetzt denken.»
«Wissen Sie nicht.»
«Doch. Weil ich als Frischling genauso dachte, und so lange ist das noch gar nicht her. Aber ob Sie meinen Rat annehmen, bleibt Ihnen überlassen. Ich werde Ihnen auf keinen Fall vorschreiben, was Sie sagen dürfen und was nicht. Das müssen Sie schon selbst entscheiden.»
Er suchte einen Moment nach den richtigen Worten.
«Jemand wie Polizeichef Bender verschwindet nach einer gewissen Zeit auf einen anderen, höher bezahlten Dienstposten. Jemand wie Stiffler aber bleibt. Wenn Sie auch zu denen gehören, die bleiben, sollten Sie sich fragen, von wem Sie Hilfe erwarten können, wenn Sie sie wirklich brauchen. Und das werden Sie. Früher oder später braucht jeder die Hilfe seiner Kollegen. Dann spielt richtig oder falsch plötzlich keine Rolle mehr, sondern nur noch die Frage, ob man seinen Job und seinen Dienstrang behält oder nicht. Und allein das ist irgendwann existenziell … nicht die Wahrheit.»
Sofort fielen Manuela Gegenargumente ein, aber sie schwieg. Es war überdeutlich, wie sehr es Nielsen belastete, dass er Stiffler verpflichtet war. Das mochte nicht richtig sein und den Wert seiner Arbeit schmälern, aber es zeigte auch eine menschliche Seite. Es machte ihn sympathischer.
«Alles klar so weit?», fragte er.
Manuela nickte.
Er reichte ihr die Hand.
«Ich bin Peter», sagte er und lächelte.
Verdutzt ergriff sie sie.
«Da ist aber noch etwas», begann sie, als Nielsen schon aussteigen wollte.
«Was denn?»
«Gestern bin ich bei meiner Recherchearbeit auf einen drei Jahre alten Fall gestoßen. Damals wurde eine Prostituierte in der Badewanne ertränkt.»
«Und?»
«Na ja, Hauptkommissar Stiffler hat damals die Ermittlungen geleitet. Der Täter wurde nicht gefasst, und ich habe mich gefragt, warum er die Verbindung nicht selbst hergestellt hat. Möglicherweise hat er ja auch mit dieser Prostituierten verkehrt, und der Fall hat eine Geschichte, die wir noch gar nicht kennen. Ich bin leider nicht dazu gekommen, mich eingehend damit zu beschäftigen. Als ich Stiffler darauf ansprechen wollte, rief das Labor wegen der Probe aus dem See an, und ab da ging alles drunter und drüber.»
Peter Nielsen sah sie einen Moment an, dann blickte er nach vorn durch die Windschutzscheibe und seufzte.
Schließlich schlug er mit der Hand aufs Lenkrad.
«Okay, wir machen Folgendes. Es wird gleich eine Besprechung mit Bender geben, bei der du nicht dabei sein wirst.
Weitere Kostenlose Bücher