Wassermanns Zorn (German Edition)
Polizeipräsidium in der Innenstadt gab es keine freien Parkplätze. Frank fuhr dreimal um den Block, verlor schließlich die Geduld und stellte sein Taxi auf der Freifläche direkt am Eingang des Präsidiums ab, die für Polizeifahrzeuge reserviert war. Auch wenn man Taxifahrern vieles durchgehen ließ, war das gewagt, aber der Polizist, der dort stand und ihn beim Einparken beobachtete, sagte nichts. Er stieg in seinen Streifenwagen und fuhr davon.
Frank schnappte sich die Visitenkarte und lief die Treppenstufen zum Eingang hinauf.
Er steuerte auf den Empfangsbereich zu. Dort saß eine brünette Polizistin hinter einer grünlich schimmernden Scheibe aus Sicherheitsglas.
Frank schob die Visitenkarte durch den Schlitz und erklärte ihr, dass er diesen Beamten unbedingt sprechen müsse.
Die Polizistin hob den Hörer ab, wählte eine Nummer und sprach ein paar Sätze, die Frank durch die Scheibe nicht verstehen konnte.
«Tut mir leid», sagte sie schließlich und schirmte die Sprechmuschel des Hörers dabei mit der Hand ab. «Polizeimeister Kraul ist nicht im Dienst. Sie können aber mit einem Kollegen sprechen.»
Frank seufzte. Einem anderen Kollegen müsste er alles noch einmal erklären. Aber was blieb ihm anderes übrig? Die Zeit drängte.
«Ja, bitte», sagte er.
Zwei Minuten später tauchte ein uniformierter Polizist auf, ein kleines Männchen mit dunklem Haar.
«Worum geht es denn?», fragte er.
«Ich möchte jemand vermisst melden.»
«Und um wen handelt es sich?»
«Um meine Freundin», antwortete Frank.
«Dann kommen Sie bitte mit», sagte das Männchen und ging voran.
Frank folgte ihm. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, ob es richtig war, was er tat. Das Gebäude, die Uniformierten, die ganzen Formalitäten, all das schüchterte ihn ein, und er fragte sich, ob er nicht überreagierte. Aber dann rief er sich alles wieder in Erinnerung, was geschehen war, und er war sich wieder sicher, dass Lavinia etwas passiert sein musste.
Der Beamte führte ihn in ein kleines, rechteckiges Büro und bat ihn, vor dem Schreibtisch Platz zu nehmen.
«Dann erklären Sie mir doch bitte alles ganz genau», bat er.
Und das tat Frank. So genau, wie es ging. Er ließ nur Einzelheiten weg, die ihm unwichtig erschienen. Der Beamte lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der breiten Brust. Seine Mimik veränderte sich, Freundlichkeit wich Skepsis.
Schließlich räusperte sich der Polizist, beugte sich vor und stützte seine Ellenbogen auf dem Schreibtisch ab.
«Dürfte ich mal Ihren Ausweis sehen?», bat er.
Frank zog ihn aus seinem Portemonnaie und reichte ihn über den Tisch. Der Polizist studierte ihn eingehend, dann sah er wieder zu Frank auf.
«Wissen Sie, was mich an Ihrer Geschichte stört?», fragte er.
Frank schwieg.
«Dass Sie behaupten, eingeschlafen zu sein, während diese Ihnen ja eigentlich unbekannte Frau namens Lavinia Wolff sich in Ihrer Wohnung aufhielt und Ihnen vom Tod ihrer Freundin erzählte. Entschuldigen Sie bitte, Herr Engler, das ist unglaubwürdig.»
Der Polizist glaubte ihm ohnehin nicht, also konnte er auch mit der ganzen kuriosen Wahrheit herausrücken. Er hatte nichts zu verlieren.
«So etwas passiert mir öfter», sagte er. «Ich bin Narkoleptiker.»
«Sie sind was?»
Auch das passierte Frank häufiger. Die wenigsten Menschen wussten mit diesem Begriff etwas anzufangen. Bei nicht mehr als vierzigtausend Betroffenen in Deutschland war das im Grunde nicht weiter verwunderlich. Er litt unter einer geheimen Krankheit, die bei den meisten, die ebenfalls darunter litten, nicht einmal diagnostiziert wurde.
«Das ist eine sehr seltene neurologische Erkrankung», sagte Frank, wohl wissend, dass das Wort neurologisch für viele gleichbedeutend mit verrückt war. «Ich leide unter Schlafzwang. Mehrfach am Tag schlafe ich einfach so ein. Oder eben auch nachts, selbst wenn ich zwanghaft versuche, wach zu bleiben.»
Das war eine sehr stark vereinfachte Erklärung, aber Frank hatte jetzt keine Lust, diesem Männchen alle Symptome zu beschreiben.
«Moment. Haben Sie nicht gerade gesagt, Sie fahren Taxi. Wie soll das denn gehen?»
«Das geht, weil ich im Laufe vieler Jahre gelernt habe, mich auf meine Erkrankung einzustellen. Ich spüre es rechtzeitig, wenn sich eine Schlafattacke ankündigt. Dann halte ich eben an und schlafe.»
«Und Ihr Fahrgast wartet dann so lange?»
Frank schüttelte den Kopf.
«Diese Attacken treten periodisch auf. Ich kann mich darauf
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