Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
zu vergewissern, daß er den Anschluß nicht verlor. Auf einmal blieb sie unvermittelt stehen, und mein Vater befürchtete schon, daß sie die Orientierung verloren haben könnte, aber sie griff nur nach seinem Arm und deutete auf eine Hügelkette, die sich vor ihnen erhob.
    ›Warte hier. Ich bin gleich zurück.‹
    ›Wohin willst du? Du kannst mich doch hier nicht allein zurück lassen‹, rief mein Vater ihr hilflos hinterher, als sie zwischen ein paar Büschen verschwand. Doch bevor er sich entschlossen hatte, ihr zu folgen, konnte er schon nicht mehr feststellen, wohin sie verschwunden war.«
    An diesem Punkt unterbrach Bill seine Erzählung, stellte die Bierdose sorgfältig zur Seite und kam mühselig aus seiner halb liegenden Stellung hoch.
    »Entschuldige mich mal für einen Moment«, sagte er und ging zu einem ein paar Meter entfernten Felsbrocken, wobei seine Silhouette vollständig mit der des Felsens verschwamm, und es im ersten Augenblick so aussah, als hätte ihn der Erdboden verschluckt. Doch dann hörte ich das Geräusch eines Reißverschlusses und kurz danach plätscherte es lang und anhaltend. Als sich sein Schatten wieder von dem des Felsens trennte, hatte ich einen Moment lang den Eindruck, ein gänzlich Fremder käme auf mich zu, doch die ungelenken Bewegungen, mit denen Bill versuchte, beim Laufen den Reißverschluß seiner Hose zuzuziehen, verdrängte diese Vorstellung sofort wieder. Nachdem er sich genauso umständlich, wie er aufgestanden war, wieder gesetzt hatte, einen Schluck von seinem VB genommen und eine Zigarette, die ich ihm hinhielt, akzeptiert hatte, fuhr er fort.
    »Also mein Vater stand mitten im Nichts, wie wir hier draußen zu sagen pflegen. Ein bleicher Mond tauchte die Wüste in ein gespenstig unwirkliches Licht, und wenn du glaubst, die Wüste lebt, dann täuschst du dich aber gewaltig. Kein Ton war zu vernehmen, kein Huschen von Füßen oder das Heulen eines Dingos, nichts, absolute Totenstille. Und kalt war es, wie mein Vater jetzt feststellen konnte. Während er hinter Emma hergelaufen war, hatte er es nicht bemerkt, ja er hatte sogar geschwitzt, doch nun begann er zu frösteln und fragte sich, wie die junge Frau, die nach seinen Begriffen, man schrieb immerhin erst das Jahr 1938, völlig nackt war, diese Kälte aushielt. Mein Vater wagte nicht, sich zu setzen, aus Angst, Emma würde ihn nicht wiederfinden. Wenn er stand, war er zumindest gegen den Himmel und die Büsche, die er überragte, auszumachen.
    Ohne sich zu bewegen lauschte er auf Schritte, die ihm die Rückkehr seiner Führerin anzeigen sollten, während sein Verstand gegen das irrationale Gefühl der Panik ankämpfte, nachts allein im Busch zu sein. Auf einmal traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitzschlag. Er hatte zwar an viele Dinge gedacht, aber vergessen, einen Kompaß in den Rucksack zu stecken, er hatte Emma vollständig vertraut. Wenn sie nicht zurückkäme, würde er wohl große Probleme haben, nach Hermansburg zurückzufinden.
    Solange sie bei Tageslicht marschiert waren, hatte sich mein Vater an der Sonne orientiert und konnte mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß sie, zumindest grob, immer nach Osten gelaufen waren, aber seit die Sonne hinter dem Horizont verschwunden war, war er völlig ahnungslos, wohin sie sich bewegt hatten. Jede Richtung war möglich, es war nicht einmal auszuschließen, daß sie im Kreis gelaufen waren. Er hielt nach markanten Landmarken Ausschau, doch die Hügelkette, die sich nicht allzuweit vor ihm erhob, war nur ein dunkler Schatten, an dem man keine spezifischen Merkmale erkennen konnte. Aber bevor die langsam in ihm aufsteigende Panik die Oberhand gewann, stand wie aus dem Boden gewachsen ein Aboriginal vor ihm. Mein Vater zuckte zusammen und wich ein paar Schritte zurück. Die Gestalt war nicht als Mensch zu erkennen, man sah lediglich die weißen Streifen der Bemalung, die sich spiralenförmig um den Körper zogen, während die dunkle Haut in der Nacht unsichtbar blieb. Über dem so sichtbar gemachten Körper schwebte da, wo bei einem Menschen der Kopf saß, scheinbar ohne Verbindung mit dem übrigen Körper ein weißes, kräftiges Gebiß und darüber zwei weiße Flecken mit dunklen Pupillen in der Mitte. Bevor er sich noch richtig erholt hatte, hörte er Emmas Stimme neben sich.
    ›Du komm – wir gehen zum Lager. Das ist Tana Waita‹, sagte sie auf die bemalte Gestalt deutend, ›du brauchst keine Angst zu haben.‹
    Erst jetzt bemerkte mein Vater, daß auch Emma

Weitere Kostenlose Bücher