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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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außer einem Feuer und einem Kreis von ungefähr zwanzig Aboriginals, die einen monotonen Singsang skandierten.
    Das Grollen in der Erde war heftiger und unregelmäßiger geworden, so als ob sich jemand im Bett hin und her wirft, nicht mehr vollständig schlafend, doch auch noch nicht gänzlich erwacht. Um den Kreis der Eingeborenen herum existierte nichts mehr, keine Felswände, kein Boden, es war, als ob sie in der Luft schweben würden. Die Dunkelheit war so total, oder so endlos weit, daß der Lichtschein jenseits der Leiber auf keinen reflektierenden Gegenstand mehr traf. Mein Vater wollte sich mit der Hand über die Augen wischen, doch als die Finger seine Stirn berührten, zuckte er zusammen. Eiskalt, so kalt, daß er einen Augenblick lang glaubte, er hätte sich verbrannt.
    Die Aboriginals waren ganz in ihrem Gesang versunken und schienen nicht mitzubekommen, was um sie herum geschah. Bill bewegte sich mit im Rhythmus der Leiber und auch aus seinem Mund drangen jetzt Worte, die er vorher nicht gekannt hatte. Es war ein Wiegenlied, eine jener uralten Weisen, die die Mütter ihren Kindern vorsangen, um sie zum Einschlafen zu bringen. Die Strophen handelten von der Traumzeit und Bugari, dem Schöpfer, der die Welt träumt. Das Zittern wurde zu einem Beben, und auf einmal erkannte Bill im Nichts hinter dem Alten einen Schemen, der vom Flackern des Feuers beleuchtet sich vor der Unendlichkeit abzeichnete. Auch die Eingeborenen mußten diesen Schemen bemerkt haben, denn der Singsang wurde noch beschwörender. Gleichzeitig gewann die Erscheinung an Konturen. Es war die Silhouette eines riesigen Känguruhs.
    Ein Stöhnen ging durch den Kreis, ohne daß die Abos ihren Gesang unterbrochen hätten. Ihre Leiber waren fast nicht zu erkennen, nur die hellen, im Lichtschein reflektierenden Streifen auf Körpern vereinigten sich zu einem großen spiralförmigen Muster, das den Anschein einer langsam nach innen laufenden Bewegung erweckte.
    Das schemenhafte Känguruh gewann immer mehr an Gestalt. Es schien sich zu schütteln und riß sein Maul auf zu einem immensen Gähnen. In der Weise, wie Bugari, denn mein Vater zweifelte nicht mehr daran, dieses Traumzeitwesen vor sich zu haben, mehr und mehr Form erhielt, verschwanden die Aboriginals und ohne Zweifel auch er selbst. Doch dann schien der Gesang der Eingeborenen Wirkung zu zeigen. Zuerst wurde das Wesen immer blasser und verschwand mit einem letzten nur noch verschwommen wahrzunehmenden Gähnen ganz. Dann kehrte der Himmel zurück, das Kreuz des Südens schwebte wieder an seinem angestammten Platz, und in dem Augenblick eines Zwinkerns war es verschwunden. An seine Stelle traten die Felswände der Höhle, an deren feuchten Wällen sich das letzte Aufflackern des Feuers brach.«
    Bill verstummte, und mir war ganz und gar nicht wohl in meiner Haut, obwohl ich diese Geschichte für ein typisches Garn des Outbacks hielt, muß ich doch eingestehen, daß mir auf einmal sehr kalt geworden war. Ich griff nach der Bierdose, um mir meine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen. Nachdem ich die Dose mit einem ordentlichen Zug geleert hatte, warf ich sie in einem weiten Bogen zu dem Felsen, der Bill vor kurzer Zeit als Toilette gedient hatte. Dann zog ich meine Zigaretten heraus, bot ihm eine an und fragte: »Und was ist aus deinem Vater geworden?«
    Bill schien die Frage nicht gehört zu haben, denn er trank wortlos sein VB und rauchte mit kurzen hastigen Zügen. Als ich ihn näher von der Seite musterte, sah ich, daß sein Haar völlig naß am Kopf klebte, und Schweiß auf seinem Gesicht schimmerte. Nachdem ich meine Zigarette neben mir in dem roten Wüstensand ausgedrückt hatte, stieß ich ihn an.
    »Und was ist aus deinem Vater geworden?«
    Diesmal hatte er meine Frage gehört.
    »Nichts.«
    »Wie, nichts?«
    »Hör zu, es tut nichts zur Sache. Ich habe dir nur erzählt, was ich über das Palm Valley Giant Kanguruh weiß, sonst nichts.«
    »Aber dein Vater muß das doch irgendwo aufgezeichnet oder es dir erzählt haben. Wie ist er nach Hermansburg zurückgekommen?« ließ ich nicht locker.
    »Paß auf!« sagte Bill nach einer Weile unangenehmen Schweigens. »Die Geschichte, die ich dir eben erzählt habe, ist schon oft genug belächelt worden, wenn ich dir jetzt noch erzählen würde, was aus meinem Vater geworden ist, dann würdest du mich für komplett verrückt halten.«
    »Keine Angst, nach dem, was du mir bis jetzt erzählt hast, kann mich nichts mehr erschüttern.«
    Bill

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