Wassermans Roboter

den spiralförmigen Molekülfäden, ähnlich, die auch den Biologen auf den fernen Molybdensternen bestens bekannt war.
    Molybden gibt es in der Erdkruste hundertmal weniger als das ihm verwandte Element Nickel, doch es spielt eine derart große Rolle, daß dies bereits als Grundlage für eine schöne, hier, auf der Erde, aufgestellte Hypothese diente. Für Professor Schestakow und dessen Kollegen war es nur eine Hypothese. Für Erto eine Tatsache. Ja, die chemische Zusammensetzung der Umwelt spiegelt sich im biologischen Aufbau ihrer Bewohner wider. Und der Molybdengehalt in den lebendigen Geweben hier, auf der Erde, unterliegt denselben Verteilungsgesetzen wie in vielen Sternenwelten …
    Professor Schestakow brauchte nur noch einen Schritt zu tun. Denn die Übersendung des genetischen Codes selbst von den Molybdensternen hierher, auf die Erde, und auf andere Planeten stellte ein glänzendes Beispiel eines Kontakts dar, über dessen Möglichkeit Schestakow nachsann. Diese, wenn man so sagen darf, materialisierte Information setzte bereits die Entwicklung einer ganz bestimmten Art von Intelligenz und deren Träger, des Menschen, voraus, und es war unnötig, Funksignale zu senden. Sie hätten nichts Neues enthüllt, wenn sie verstanden worden wären, und hätten den Lauf der Ereignisse nicht beschleunigt. Was kann der Mensch auf der Welt schon Großes entdecken außer dem, was in ihm selbst lebt?
    Das war, worüber Erto nachdachte, als er Schestakows Manuskript durchblätterte.
    Es war kaum mehr als ein Monat vergangen (zweiundvierzig Tage, wenn man genau sein will), und Erto war vieles klargeworden. Er hatte gesehen, wie die Türme der ersten Fernsehstation im Polargebiet – in einer Stadt unter Dach jenseits des sechzigsten Breitengrades – aufgestellt wurden, wie eine Brücke über die nördliche Meerenge geschlagen wurde – ihre Pfeiler berührten die niedrigen nördlichen Wolken, und Scharen von Gänsen flogen unter ihnen durch, als sähen sie vor sich ein Tor aufgehen direkt in die Weiten des Nordens. Er hatte den beunruhigenden Rhythmus der Riesenmaschinen gespürt, die Gußeisen, Stahl, Walzgut, Zement, Papier erzeugten – von ihnen sprachen die Seiten der Zeitungen und berichteten Mädchen – Fernsehsprecherinnen – mit einem blendenden Lächeln auf den Lippen. Erto wußte, daß irgendwo bärtige Geologen sich wie Kinder freuten und, einander an den Händen haltend, auf dem Hintergrund eines Hügellandes photographieren ließen, auf dem sie Muskovit gefunden hatten – ein ideales Dielektrikum, einen Glimmer, der sich in fünf Mikron große Platten zerlegen ließ und dem ganzen Land auf Jahrzehnte hinaus reichte.
    Erto hatte den Rhythmus, den Puls dieses Lebens gefühlt, das sich nur mit Mühe auf Bildschirme und in Zeitschriftenspalten pressen ließ, und eines Tages ertappte er sich bei dem Wunsch, seine tägliche Arbeit in den Bibliotheken aufzugeben und zu versuchen, wenigstens für einen Tag so zu sein wie alle diese Menschen, denen in der Zukunft noch so vieles zu erfahren bevorstand …
    Er wollte alles hinwerfen und sich nur noch mit der Erforschung des arktischen Schelfs beschäftigen, mit dem Ziel, irgend etwas von dem Entdeckten dieser gastfreundlichen Erde zurückzulassen, zum Geschenk zu machen. Sei es Erdöl, Wolfram, Glimmer oder Zinn. Wäre das vielleicht kein optimaler Beitrag zur Entwicklung einer Zivilisation im allgemeinen und der interstellaren Beziehungen im besonderen?
    »Nein«, sagte Welta so ruhig, daß er wußte: Streiten hatte keinen Sinn.
    Sie sprachen nicht zum ersten Mal darüber, und Schiffskapitän Päl unterstützte diese Anregung mit allen möglichen Mitteln, da er der Meinung war, sie müßten unbedingt selbst zu der offensichtlichen Wahrheit gelangen, daß das, was sie hier taten, für alle das Nützlichste und Notwendigste sei, besonders wenn man nicht nur an den heutigen Tag dachte.
    »Nein«, sagte Welta, »wir werden ihnen helfen, aber nicht auf diese Weise.«
    Ihren Worten zufolge versprach gerade jener Typ von genetischem Code, der ihnen und der Erde gemein war, eine unendliche Weiterentwicklung des intelligenten Ansatzes, aber nur unter einer wichtigen Voraussetzung: falls die Menschen keine Verbrechen gegenüber der Zukunft begingen. Und dafür mußten sie sich das Morgen klarer vor Augen halten. Ein abgebrochener Zweig oder ein erschlagener Schmetterling, das war nichts oder fast nichts (auch ein Verbrechen, wenn auch ein kleines, doch kein Verbrechen