Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
um und starrte den in Pelze gehüllten Riesen an. »Sie …?« flüsterte er.
    Loki nickte. »Genau. Wir haben uns zu einer kleinen Änderung entschlossen. Ich werde nicht wie geplant die Unterseeschiffe bei ihrem Ausbruchsversuch durch das Skagerrak begleiten. Ich will mit euch kommen, nach Gotland.«
    Chris verzog keine Miene. Weder er noch Lewis hatten die geringste Chance, etwas gegen den Willen dieses Geschöpfes auszurichten. So oder so, die Alliierten standen im Begriff, ihren einzigen Asen-Freund in dem langen Krieg gegen die Nazi-Plage zu verlieren.
    Wenn das Wort Freund wirklich auf Loki zutraf – der eines Tages auf der Asphaltbahn eines schottischen Flugplatzes erschienen war, während der letzten Evakuierungsphase Großbritanniens, begleitet von acht kleinen, bärtigen, kistenschleppenden Wesen. Er trat mit der Gruppe auf den nächstbesten verblüfften Offizier zu und forderte gebieterisch, daß man ihn mit der Privatmaschine des Premierministers nach Amerika bringe.
    Vielleicht hätte ihn ein Panzerbataillon stoppen können. Kriegsberichte bezeugten, daß auch Asen sterblich waren, wenn man Glück hatte und sie schnell und heftig genug angriff. Aber als der Flugplatzkommandant merkte, worum es ging, hatte er beschlossen, das Risiko zu wagen.
    Und seit jenem Tag vor zehn Jahren hatte Loki das in ihn gesetzte Vertrauen immer wieder gerechtfertigt.
    Bis zu diesem Moment.
    »Wenn Sie darauf bestehen«, meinte Chris.
    »Das tue ich.«
    »Dann werde ich Major Marlowe informieren. Entschuldigen Sie mich bitte.«
    Er ging ein paar Meter rückwärts, ehe er sich umdrehte und durch das Brackwasser watete. Das kalte Glitzern der Augen schien ihm zu folgen, vorbei an dem stöhnenden Zwerg, vorbei an O’Leary mit seinem stets sarkastischen Grinsen, den engen, feuchten Korridor entlang, gesäumt von Soldaten, die in ihren Sitzen festgeschnallt waren, bis hin zu den Ausstoßschächten der Landungsboote.
    Die Unterhaltung klang gedämpft. Die jungen Männer sprachen alle Englisch, aber nur die Hälfte kam aus Nordamerika. Ihre Schulterabzeichen – Freie Franzosen, Freie Russen, Freie Iren, Deutsche Christen – ließen sich im Halbdunkel nur schwer ausmachen, aber das Gewirr von Akzenten war ebenso unverkennbar wie das Blitzen der Augen und die Art und Weise, wie sie über ihre Waffen strichen.
    So sahen Männer aus, die sich freiwillig für Selbstmord-Missionen meldeten, Männer, wie man sie nach dreizehn schrecklichen Kriegsjahren überall in der Welt antraf – Männer, die nichts mehr zu verlieren hatten.
    Major Marlowe war nach hinten gekommen, um das Verladen der Landungsboote zu überwachen. Er nahm die Neuigkeit, die Chris für ihn hatte, nicht besonders gut auf.
    »Loki will mitkommen? Nach Gotland?« Er spuckte aus. »Der Bastard ist ein Spion. Das habe ich immer schon gewußt.«
    Chris schüttelte den Kopf. »Er hat uns hundertfach geholfen, John. Schon allein dadurch, daß er Ike nach Tokio begleitete und die Japaner überzeugte …«
    »Eine Großtat! Die Japse waren zu dem Zeitpunkt so gut wie geschlagen!« Der vierschrötige Marinesoldat ballte die Faust. »Und Hitler hätten wir auch noch kleingekriegt, wenn nicht plötzlich diese Monster wie eine Satansbrut aus dem Nichts aufgetaucht wären.
    Und jetzt lebt er seit zehn Jahren unter uns, kennt unsere Methoden, unsere Taktik, unsere Technik – den einzigen echten Vorteil, den wir je hatten.«
    Chris schnitt eine Grimasse. Wie konnte er das Marlowe nur erklären? Der Marine-Offizier war nie in Teheran gewesen, wie Chris im letzten Jahr. Marlowe hatte nie die Hauptstadt von Israel-Iran gesehen, Amerikas größtem und treuestem Verbündeten, dem Bollwerk des Ostens.
    In Dutzenden von Siedlungen am Ostufer des Euphrat war Chris grimmigen, bewaffneten Männern und Frauen begegnet, mit eintätowierten Nummern von Treblinka, Auschwitz und Dachau auf den Armen. Sie hatten ihm berichtet, wie die zum Tode verurteilten Massen hinter Stacheldraht, im Gestank der Kamine, eines Nachts plötzlich einen seltsamen Dunst vom Himmel herabfallen sahen. Ungläubig und verwirrt hatten sie miterlebt, wie der Nebel dichter wurde und sich verfestigte.
    Und aus den unheimlichen Schwaden entstand eine farbige Brücke – ein bunter Regenbogen, der sich scheinbar ohne Ende aus den Orten des Grauens in die mondlose Nacht wölbte. Und aus der Höhe sahen die Todgeweihten, jeder einzelne von ihnen, eine Gestalt mit dunklen Augen auf einem fliegenden Roß herabkommen, und sie

Weitere Kostenlose Bücher