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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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hörten eine Stimme in ihrem Innern wispern:
    Kommt, Kinder, während eure Peiniger noch im Netz meiner Gedanken zappeln! Rettet euch alle über die Brücke, ehe meine Vettern den Verrat gewahr werden!
    Als sie auf die Knie niedersanken und Dankgebete anstimmten, schnaubte die Gestalt nur verächtlich. Die Stimme zischte in ihren Köpfen:
    Ich bin nicht der Gott, der euch hier dem Tod überließ! Ich weiß nicht, weshalb Er nicht kam, um euch zu helfen, oder welche Pläne Er in diesem Spiel verfolgt. Der Allvater ist selbst dem Großen Odin ein Rätsel!
    Wisset nur, daß ich euch in Sicherheit bringen werde, sofern es eine Sicherheit auf dieser Welt gibt. Aber nur, wenn ihr euch beeilt! Kommt und zeigt eure Dankbarkeit später, wenn ihr nicht anders könnt!
    Herab in KZs, in düstere Ghettos, in eine belagerte Stadt senkten sich die Brücken in einer einzigen Nacht und waren im Morgengrauen verschwunden wie Dunst oder wie ein Traum. Zwei Millionen Menschen – die Alten, die Siechen, Frauen und Kinder, die Sklaven aus Hitlers Kriegsfabriken – erklommen die Pfade, denn es gab keine andere Wahl, und sie fanden sich in einem Wüstenland wieder, an den Ufern eines uralten Stroms.
    Sie kamen gerade rechtzeitig, um in aller Hast Waffen zu ergreifen und eine britische Armee zu retten, die aus den Trümmern von Ägypten und Palästina floh. Sie mischten sich unter die verblüfften Perser und Flüchtlinge aus dem zerstörten Rußland, und alle gemeinsam errichteten sie eine neue Nation aus dem Chaos.
    Deshalb erschien Loki auf dem Asphalt-Rollfeld in Schottland – kurz nach jener Nacht der Wunder. Wäre er nach Europa zurückgekehrt, dann hätte ihn der Zorn seiner Asen-Brüder voll getroffen. Und wenn er heute Gotland betrat, dann befand er sich in der gleichen Gefahr wie das Selbstmord-Kommando.
    »Nein, Marlowe, Loki ist kein Spion. Ich habe nicht den leisesten Schimmer, was, in aller Welt, er darstellt, aber ich wette mein Leben, daß er kein Spion ist.«

 
2
     
    Die Kapseln gurgelten und wippten, als sie aus den U-Boot-Schächten schossen und an die Oberfläche des eiskalten Meeres trieben. Die Außenhüllen lösten sich, und die Matrosen begannen zu rudern. Erstmals nach mehr als einem Tag atmeten die Männer frische Luft.
    Lokis Zwerg wirkte alles andere als erleichtert. Er starrte über das dunkle Wasser nach Westen, wo sich die Hügel einer großen Ostsee-Insel gegen einen schmalen rötlichen Sonnenuntergangsstreifen abhoben, und stieß dazu gutturale Laute aus, die nichts Irdisches an sich hatten.
    Was eigentlich ganz klar war. Wie die meisten Amerikaner war Chris fest davon überzeugt, daß diese Wesen mit nordischen Göttern ebensowenig gemeinsam hatten wie er mit Sandy Koufax – daß sie ebensowenig aus Walhall herabgestiegen waren, wie er in Brooklyn Baseball spielte.
    Fremdwesen – das war die offizielle Bezeichnung … die Story, die der Alliierten-Sender auf den beiden amerikanischen Kontinenten, in Japan und den Überresten des Freien Asiens verbreitet hatte. Geschöpfe von den Sternen waren auf der Erde gelandet, wie bei Chester Nimitz, dem berühmten Science Fiction-Autor.
    Man konnte sich unschwer vorstellen, weshalb sie Wert darauf legten, als Götter betrachtet zu werden. Und es erklärte auch, weshalb sie sich auf die Seite der Nazis gestellt hatten. Schließlich hätte der Trick im Westen niemals geklappt. Hier hätten euro-amerikanische Wissenschaftler – ohne jeden Respekt vor der Macht der Gäste – untersucht und geforscht und Fragen gestellt.
    Aber im teutonischen Wahn des Nazitums fanden die ›Asen‹ einen fruchtbaren Boden.
    Chris hatte erbeutete deutsche SS-Dokumente gelesen. Bereits in den dreißiger und vierziger Jahren, noch vor der Ankunft der Asen, waren sie voll von Hokuspokus und pseudoreligiösem Mystizismus – all dieser Unsinn über Eismonde, die vom Himmel fielen und dem romantischen Geist der arischen Herrenrasse.
    Eine von Nazis eroberte Welt würde den Asen gehören, wer und was immer sie waren. Man würde sie in der Tat als Götter betrachten. So wie er die Logik einer Ratte oder einer Hyäne durchschaute, so begriff Chris auch, weshalb die gottverdammten Fremdlinge die Nazis unterstützten.

    Tannen bedeckten die Hügelkämme und schnitten ein Zackenmuster in den immer noch schwach leuchtenden westlichen Himmel. Die beiden vorderen Boote waren vollgepfropft mit Marineinfanteristen, die den Landekopf stürmen und dann in Spähtrupps landeinwärts vordringen sollten.

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