Wassermans Roboter
schüttelt den Kopf und wendet sich seiner Fallstudie zu.
Die Dementia des Patienten nimmt die Form verzehrender Halluzinationen an, die er so beschreibt, als sei er innerlich ein Farbkaleidoskop: Je akuter seine geistige und emotionale Qual, desto intensiver die Halluzinationen, bis er das Gefühl hat – Zitat: »Ich existiere nicht mehr, ich male einen Traum, es gibt nur noch Farben, sämtliche Farben des Schmerzes.«
Dennoch besteht der Patient auf der Behauptung, daß seine zutiefst verwirrenden Halluzinationen kein Symptom des Wahnsinns sind, sondern Segnungen, Geschenke eines sogenannten ›Königs der Schmerzen‹. Ich vermag die Stellung dieser promethischen Gestalt im Sonnen-Pantheon des Patienten zwar nicht zu definieren, aber dennoch sind die Details, mit denen er die phantastische (und ich muß gestehen: grauenhafte) Welt der Zukunft beschreibt, in der diese eingebildete Kreatur der Furcht lebt, auf seltsame Weise passend und folgerichtig. Die Geschichte des Patienten enthält Aspekte, die ich einfach nicht zweifelhaft erscheinen lassen kann, und sein Glaube an den ›König der Schmerzen‹ ist so unerschütterlich, daß er kürzlich, als ich seine Existenz bezweifelte, eine große Farbenmenge verschluckte, um zu beweisen, daß er weder körperlichen Schmerz noch Qual verspürt. Ich rechne diesen unglücklichen Unfall zu den übrigen periodischen Anfällen von Geisteskrankheit, die ihn in dreimonatlichen Intervallen überkommen, wenn er helle, blendende Farben halluziniert. Wenn er, wie er behauptet, hellseherische Visionen des Königs der Schmerzen hat (er behauptet sogar, ein unvollendetes Porträt des Königs läge unter seinem Bett), wird es nötig, ihn zu bändigen und ihn in sein Zimmer einzuschließen, bis die Episode vorbei ist.
Armer, verrückter Vincent! Der künstlerische Genius dieses Mannes steht außer Frage, doch er ist verdreht und fehlgeleitet von seinem Wahnsinn, der sich im strudelnden Chaos seiner Gemälde äußert. Ich bin in regelmäßigem Kontakt mit dem Bruder des Patienten, der vorschlägt, Vincent solle in ein Heim verbracht werden, das näher bei Paris liegt, wo man sich leichter um ihn kümmern kann. Solch brüderliche Hingabe ist herzerwärmend, denn Vincent ist, wie ich befürchte, tatsächlich ziemlich verrückt. Ich werde nicht so schnell vergessen, wie er schreiend ausrief, als wir ihn während seines letzten Anfalls bändigten: »Begreift ihr denn nicht? Begreift ihr denn nicht? Begreift ihr denn nicht, womit er meinen Schmerz verbunden hat?«
Dr. Guilefoy schreibt gestochen scharf, wie ein Kupferstecher. Im Anstaltsgarten unter ihm malt Vincent, malt malt malt, brennend in einem Feuer unbekannter Herkunft.
Im Frühjahr verläßt Vincent die Anstalt, um einen Sämann zu malen. Dann ist es Herbst, und erneut verläßt er die Anstalt, diesmal, um nach einem Schnitter zu suchen. Doch es ist der Schnitter, der nach ihm sucht. Der Schnitter erwartet Vincent vor den Mauern der Anstalt, er wartet mit staubbedeckten Füßen, doch seine Verkleidung kann das Entzücken in seinem Blick nicht verdecken.
Vincent weiß, wer er ist.
»Du willst mich immer noch nicht in Ruhe lassen – nach all dieser Zeit?«
»Das Porträt unter deinem Bett ist immer noch unvollendet, Vincent. Für mich verläuft die Zeit anders als für dich. Sie verläuft asymmetrisch, Vincent.«
»Aber du bist hier nicht zu Hause. Wie kannst du hier sein?«
»Eine nochmalige Verfeinerung meiner Kräfte, Vincent. Ich habe gelernt, mich durch die Vergangenheit in dein objektives Universum zu projizieren, so wie du durch die Zukunft in mein subjektives Universum projiziert worden bist. Ich bin vielleicht nur ein Strudel aus Lebenspartikeln, doch das bist du schließlich auch, und wir sind beide solide genug, um diesen Herbsttag und seine Schönheit zu genießen. Es ist gut, frei von diesem Ort zu sein, Vincent. Sollen wir nicht ein bißchen Spazierengehen?«
Der König und der Maler gehen nebeneinander durch den roten Staub der Provence. Während sie Spazierengehen, reden sie über viele Dinge, beziehungsweise ist es so, daß der König spricht, denn Maler sollten sich nicht in müßigem Getratsche mit Königen engagieren, nicht einmal mit einem König des Wahnsinns. König und Maler gehen zusammen, und während sie dies tun, hat Vincent den Eindruck, als würde die Welt mit jedem Schritt, den er macht, zunehmend unvertrauter, weniger erkenntlich als die Landschaft der Provence.
Zu beiden Seiten der
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